Boris Blocksberg: Boris rächt sich
ein Bibi-Blocksberg-Fanhörspiel

von Jens Wiesner

(hier komplett als PDF downloaden

Hörspielcover: Alice Socal & Jens Wiesner

Eine seltsame Pechsträhne verfolgt die Familie Blocksberg. Bernhard verliert seine Arbeit, Barbaras Besen ist plötzlich weg und Bibis beste Freundin Tina kündigt ihr die Freundschaft. Als Bibi nachforscht, kommt sie einem Komplott auf die Spur, das bis in ihre eigene Familie reicht.

DISCLAIMER: Bei dem hier verfassten Script handelt es sich um eine liebevolle Parodie der Hörspielserie „Bibi Blocksberg“ von Kiddinx. Die Figuren Bibi, Barbara, Bernhard und Boris Blocksberg (Kartoffelbrei und Marita nicht zu vergessen) gehören nicht mir, sondern der Kiddinx Media GmbH, ebenso die Audio-Schnipsel. Ich schreibe das hier nur zum Spaß, will niemandem die Rechte streitig machen und mit diesem Text auch kein Geld verdienen. Falls die Rechteinhaber damit nicht einverstanden sind, melden Sie sich bitte bei mir.

Kontakt: wiesnerjens@gmail.com
Website: www.jenswiesner.com

Mastodon: @jenswiesner@det.social

Hier könnt ihr „Boris rächt sich“ vertont auf Soundcloud hören:

Am Mikrofon: Bibi Blocksberg: Julia Brandenstein; Barbara Blocksberg: Sara Derksen; Bernhard Blocksberg: Christopher van Straalen; Marita: Tugce Uysal; Erzähler, Co-Pilot & Produzent: Der Springer; Pilot: Tobias Wörenkämper; Boris: Jana Wegner; Stewardess: Denise Radeloff; Buchdämon: Jens Wiesner; Oberhexenärztin: Swantje Jäger; Kollegin: Lena Eberhardt

Seit Sommer 2022 könnt ihr „Boris rächt sich“ auch auf Instagram folgen, die alte Facebook-Seite ist leider nicht mehr online.

Screenshot https://www.instagram.com/borisraechtsich/

Gegen den Quarantäne-Koller: Zu Beginn der CoVid-Pandemie 2020 habe ich jeden Abend ein paar Kapitel aus „Boris rächt sich“ auf Facebook live vorgelesen. Die Folgen sind leider auch nicht mehr online.

Im Mai 2018 haben FSJ’ler*innen die ersten acht Szenen als Hörspielprojekt des Bildungsblocks Medienkompetenz des Kulturbüros Rheinland-Pfalz vertont. Das könnt ihr euch hier auf Facebook anhören.

INHALTSVERZEICHNIS

SZENE 01
SZENE 02
SZENE 03
SZENE 04
SZENE 05
SZENE 06
SZENE 07
SZENE 08
SZENE 09
SZENE 10
SZENE 11
SZENE 12
SZENE 13
SZENE 14
SZENE 15
SZENE 16
SZENE 17
SZENE 18
SZENE 19
SZENE 20
SZENE 21
SZENE 22
SZENE 23
SZENE 24
SZENE 25
SZENE 26
SZENE 27
SZENE 28
SZENE 29
SZENE 30
SZENE 31
SZENE 32

SZENE 01: BEI BLOCKSBERRGS DAHEIM

RUMPELGERÄUSCHE. JEMAND WÜHLT SICH DURCH GEGENSTÄNDE, ETWAS SUCHEND. ES IST… BARBARA BLOCKSBERG.

BARBARA (seufzend): Ach, das ist doch zum Mäusemelken. (schreit) Bernhaaaaaaaarrrrd! Bibiiiiiiii! 

BIBI (fragend): Ja, Mami? 

ZEITUNGSRASCHELN.

BERNHARD (hinter einer Zeitung hervorlugend): Ja, was ist denn? 

BARBARA: Habt ihr Baldrian irgendwo gesehen? Ich war mir ganz sicher, ihn gestern in die Besenkammer gestellt zu haben, aber jetzt ist er nicht mehr da. 

BIBI: Neee. (Kurze Pause) Aber Mami, warum hext du ihn nicht einfach zurück? (Kurze Pause) Warte, ich helfe dir… Eene meene mück, Baldrian komm zurück! Hex! Hex! 

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER: NICHTS PASSIERT. 

BIBI: Ach menno, ich war mir ganz sicher, den richtigen Spruch gehabt zu haben. 

BARBARA: Komisch, das war auch der richtige Spruch. (Kurze Pause) Vielleicht dieser hier: Eene meene Mittelmeer, Baldrian flieg wieder her. Hex! Hex! 

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER WIEDER: NICHTS PASSIERT.

BARBARA: Das gibt’s doch gar nicht, das ist ja …

BERNHARD: Wie verhext? 

BARBARA und BIBI (gleichzeitig, langgezogen): Wieee verhext!

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 01

SZENE 02: AM NÄCHSTEN TAG

ERZÄHLER: Na, das ist ja wirklich seltsam! Dass Bibi mal ein Zauberspruch misslingt, kommt ja schon einmal vor. Aber dass Barbara Blocksberg zaubert und nichts dabei herumkommt? … Jedenfalls suchen Blocksbergs jetzt ganz ohne Hexerei nach Baldrian. Die ganze Wohnung stellen sie auf den Kopf – und fragen sogar bei Herrn Müller nach, ob der sich Baldrian zum Hausflurkehren gemopst hat. Aber Barbara Blocksbergs Besen bleibt verschwunden. Und das ist erst der Anfang einer Pechsträhne, die den Blocksbergs ins Haus steht.

BERNHARD (Tür knallend, zornig): Beurlaubt! Ich glaube es nicht!

BIBI: Aber warum freust du dich denn nicht, Papi? Urlaub ist doch etwas Schönes!

BERNHARD: Es ist ja kein echter Urlaub, beurlaubt sein heißt…

BARBARA (zu BIBI): Beurlaubt sein heißt, dass dein Chef nicht mehr will, dass du für ihn arbeitest, weil… du etwas Schlimmes gemacht hast. Und dass du kein Geld mehr verdienst… (zu BERNHARD, besorgt) Ach, Bernhard, was ist denn nur passiert?

BERNHARD: Ich weiß es ja auch nicht! Gestern war noch alles in Ordnung, und heute ruft mich Herr Zehnpfennig in sein Büro, drückt mir einen Pappkarton in die Hand und sagt, ich solle meine Sachen packen. Und als ich ihn frage, was denn bitte los sei, schaut er mich nur böse an und keift (nachäffend) „Das wissen Sie ganz genau, Sie… Lüstling!“

BARBARA und BIBI (ungläubig): Lüstling?

BERNHARD: Jaaa-haaa, er hat wirklich Lüstling gesagt. (flehend) Barbara, ich schwöre dir, ich habe nie…

BARBARA (glaubt ihm wirklich): Das weiß ich doch, Bernhard. Aber hast du vielleicht etwas gesagt, das…

BERNHARD (insistierend): Neiii-en! Wirklich nicht!

BARBARA: Seltsam ist das… Wirklich seltsam…

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 02

SZENE 03: NOCH EINEN TAG SPÄTER

ERZÄHLER: Im Hause Blocksberg scheint es zur Zeit wirklich mit dem Teufel zuzugehen. Erst verschwindet Baldrian spurlos, dann bekommt Vater Bernhard Ärger auf der Arbeit, nur bei Bibi läuft noch immer alles…

BIBI (ERZÄHLER unterbrechend, schreit): Diese dumme Kuh! Was bildet sich diese dumme Kuh nur ein!?

BERNHARD (tadelnd): Nanana, Bibi. Solche Worte möchte ich aber nicht aus deinem Mund hören. Und überhaupt sind Kühe sehr intelligente Wesen und…

BARBARA (BERNHARD ins Wort fallend): Aber was ist denn los, mein Kind? Warum ärgerst du dich denn so?

BIBI (noch wütend, aber auch schniefend-traurig): Tina hat… (Rotz hochziehend) unsere Reiterferien abgesagt!

BERNHARD und BARBARA (gleichzeitig, ungläubig): Waaaaaaaaaas?

BIBI (jetzt nur noch schniefend): Sie sagt, ich könnte mir eine neue beste Freundin suchen. (Rotz hochziehend) Und dass ich nie wieder auf Sabrina reiten dürfte!

BARBARA: Aber warum das denn? Ihr seid doch unzertrennlich!

BIBI (schniefend): Tina sagt, ich hätte Bilder von ihr und Alex ins Netz gestellt und über die beiden gelästert.

BARBARA (streng): Brigitte Blocksberg! Du hast doch nicht etwa…?!

BIBI (unterbricht BARBARA): Natürlich nicht, Mami! Was denkst du denn?

BARBARA: Aber wie kommt Tina denn bitte auf solche Gedanken? Es ist…

BERNHARD und BIBI (beenden den Satz gemeinsam): … wie verhext!

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 03

SZENE 04: AUF DEM SCHULHOF

ERZÄHLER: Am nächsten Tag kann es Bibi kaum erwarten, bis der Gong zur großen Pause endlich geschlagen hat. Auf dem Schulhof erzählt sie ihrer Freundin Marita von den seltsamen Geschehnissen im Hause Blocksberg. 

MARITA: Aber das kann doch kein Zufall sein! Erst deine Mutter, dann dein Vater – und jetzt du! Es ist fast so…

BIBI (MARITAS Satz beendend): …als wollte jemand unserer Familie schaden. Ja…

MARITA: Aber wer würde so etwas Gemeines denn tun?

BIBI: Normalerweise würde ich ja auf Malizia tippen. Aber die hat gerade mal wieder Hexverbot, ich hab extra nachgefragt. Und Rabia von Katzenstein wurde vom Hexenrat ins Gruselmoor verbannt. Die kann also auch nicht dahinterstecken.

MARITA: Und wenn der …

DUMPFES GERÄUSCH.

BIBI (unterbricht MARITA, schreit kurz laut auf): AUA!

ERZÄHLER: Nanu? Was war denn das? Da hat doch tatsächlich jemand Bibi etwas an den Kopf geworfen. Wie gemein! Glücklicherweise war es kein Stein, sondern…

BIBI (den Satz des ERZÄHLERS beendend): ...ein Stück Papier. Zusammengeknüllt. (hebt das Papier auf) Komisch.

MARITA (neugierig, etwas drängelnd): Was steht denn drauf?

BIBI (knüllt das Papier auseinander): Nur zwei Worte… „Remember me?“

MARITA: „Remember me?“ Mhhh, das ist Englisch und heißt „Erinnerst du dich an mich?“

BIBI (altklug): Ich weiß, ich weiß, ich bin doch nicht blöde.

MARITA: Aber an wen sollst du dich denn erinnern?

BIBI: Keine Ahnung. (Pause) Warte mal! Da unten steht noch etwas. Ganz klein ist es hingekritzelt… (vorlesend) B… O… R… (triumphierend) Boris!

MARITA: „Erinnerst du dich an mich – Boris?“ (Pause) Komisch. (fragend) Kennst du denn einen Boris, Bibi?

BIBI: Boris Becker vielleicht? (kichert, dann ernster) Nee, das sagt mit gar nichts.

MARITA: Komisch.

BIBI: Ja, komisch.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 04

SZENE 05: BEI BLOCKSBERGS IN DER KÜCHE 

ERZÄHLER: Nach der Schule fährt Bibi mit ihrem Fahrrad auf schnellstem Wege nach Hause. Eigentlich würde sie sich ja lieber auf ihren Besen schwingen, aber das traut sie sich gerade nicht. Wer weiß, ob dieser seltsame ‚Boris‘ nicht auch etwas mit ihrem geliebten Kartoffelbrei anstellen würde… Völlig außer Atem kommt sie endlich – der Aufzug ist natürlich wieder einmal defekt – im 20. Stock des Hochhauses A an. Ihr wisst ja, dort wohnen Blocksbergs.

BIBI (Nase rümpfend): Pfui, Mami, was ist denn das für ein Gestank?

BARBARA: Das ist kein Gestank, mein liebes Töchterlein, das ist der wohlriechende Duft von gedünsteten Lerchenzungen und Otternasen in Ozelotmilch!

BIBI: Bäh! Warum kann es bei uns nicht (betont) EINMAL etwas Normales geben? Pommes zum Beispiel. Mit gaaaanz viel Ketchup!

BARBARA: Weil Pommes …

BIBI (BARBARA ins Wort fallend): … un-glaub-lich ungesund sind. Ich weiß, ich weiß… Aber Otternasen? Der Tierschutzbund findet das sicher …

BARBARA (BIBI ins Wort fallend, energisch): Der Tierschutzbund muss sich überhaupt nicht echauffieren! Meine Otternasen werden frisch herbeigehext. Da kommt kein Tier zuleide!

KURZE PAUSE, DANN WECHSELT BIBI DAS THEMA.

BIBI: Du, Mami?

BARBARA (latent genervt): Ja, Bibi? Was ist denn noch? Ich habe es gesagt und ich bleibe dabei: Es gibt heute keine Pommes!

BIBI: Die Pommes sind mir doch egal, aber… kennst du zufällig… einen ‚Boris‘?

BARBARA (verschluckt sich, hustet): Wen soll ich kennen?

BIBI: Einen ‚Boris‘.

BARBARA (noch etwas verdattert): Boris sagst du? Aber… was… wieso? (hat jetzt die Fassung wiedererlangt) Ach sooo.. Meinst du etwa den Tennisspieler? Oder diesen Trunkenbold, diesen rotgesichtigen Politiker aus Russland?

BIBI (insistierend): Ma-miiii! Nein. Ich meine: Gibt es einen Boris, der irgendetwas mit unserer Familie zu tun hat?

BARBARA (ausweichend): Also, Großtante Furunkula hat einen Neffen, der heißt Bodo. Und der Sohn von Bernhards Tante heißt Bert. (flüsternd, zu sich) Die armen Jungen! (wieder lauter) Aber Boris…? (plötzlich sehr wirsch) Aber das ist ja auch egal! Namen, liebe Bibi, sind am Ende des Tages doch nur Schall und Rauch…

BIBI: Aber…

BARBARA: Kein Aber! Und jetzt ist auch mal gut mit all der Fragerei! Kümmer dich lieber um deine Schularbeiten! Nicht, dass du wieder eine 5 in Mathe mit nach Hause bringst.

BIBI (beharrend, aber auch etwas weinerlich): Aber Ma-miiiiii…

BARBARA: Schluss jetzt! Du steckst jetzt (betont) SOFORT deine Nase in deine Schulbücher. Und nicht in Dinge, die dich nichts angehen.

BIBI (resigniert, zieht ab): Na gut.

ERZÄHLER: Nanu, was ist denn mit Frau Blocksberg los? So unwirsch kenne ich Bibis Mutter ja gar nicht. Aber diesmal scheint Bibi sie wirklich auf dem falschen Fuß erwischt zu haben…

BARBARA (schreit): Oh verdammt und zugehext nochmal!

AUS DER PFANNE BRUTZELT UND RAUCHT ES VERBRANNT.

BARBARA (ruft aus): Jetzt sind mir auch noch die Otternasen angebrannt! So eine schöne Bescherung! 

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 05

SZENE 06: IN BIBIS ZIMMER

ERZÄHLER: Weiha, weiha, weiha! Bei Blocksbergs herrscht also wieder einmal dicke Luft. (hält sich die Nase zu) Und die stinkt diesmal auch noch zum Gotterbarmen nach angebrannten Otternasen! Gut, dass die Otter das nicht mehr riechen können. (hustet) Ich glaube, (hustet) ich glaube, ich ziehe mich auch mal kurz in Bibis Zimmer zurück.

TÜR ZU BIBIS ZIMMER ÖFFNET SICH, MAN HÖRT UNDEFINIERBARES GEQUENGEL.

ERZÄHLER (seufzt): Was für ein trübseliger Anblick! In ihrem Zimmer hat sich Bibi erst einmal auf ihr Bett geworfen und schmollt eine Weile. Aber weil Schmollen bekanntlich noch keinen Dreisatz gelöst hat und das Fertighexen von Hausaufgaben im Hause Blocksberg ja (betont) STRENGSTENS verboten ist, setzt sie sich schließlich doch an ihren Schreibtisch… 

PAPIER RASCHELT, BIBI SCHLÄGT IHR HAUSAUFGABENHEFT AUF.

BIBI (quengelnd): Blöder Dreisatz. Blöde Tina. Blöde Welt. Und Mami kann mir auch mal den Buckel herunterrutschen. Und alles nur wegen diesem komischen…

BLÄTTERT EINE SEITE UM, ENTDECKT IN IHREM HAUSAUFGABENHEFT EINEN NEUEN ZETTEL.

BIBI (überrascht ausrufend): … Boris!

ERZÄHLER: Ja, ist es denn zu fassen?! Mitten in Bibis Hausaufgabenheft steckt doch tatsächlich ein neuer Zettel! Und der ist diesmal nichtzusammengeknüllt, sondern fein säuberlich gefaltet. Aber unterschrieben ist er wieder von – na, ihr ahnt es sicher schon…

BIBI (zu sich selbst murmelnd): Was steht denn da? Mhhh…  (langsam vorlesend)  Eine Zahl… 20! Dann ein Minuszeichen und noch eine Zahl… 21! Und dann folgt ein Gleichheitszeichen und ein Wort… (fragend-unsicher) Automat? Neee! (fragend-unsicher) Antarktis…? (Pause, pikiert) Also, dieser Boris hat ja wirklich eine Sauklaue! Mhhhhh… (Pause, dann triumphierend) Antwort! Da steht ’20 – 21 = Antwort!‘

ERZÄHLER: ’20- 21 = Antwort‘? Na, das ist aber eine komische Rechenaufgabe. Oder könnt ihr euch vorstellen, was das bedeuten kann?

BIBI: Na, das ist doch bibileicht! Die 20 – das sind die Stockwerke hier in unserem Hochhaus. Die bin ich ja gerade erst hochgerannt! Und wenn man 21 Stockwerke von 20 Stockwerken abzieht, dann landet man… (Kunstpause)

ERZÄHLER und BIBI (gemeinsam): … im  Keller!

BIBI (laut triumphierend ausrufend): Die Antwort liegt im Keller!

BARBARA (Stimme etwas leiser, dumpf, aus der Küche rufend): Was ist im Keller, Bibi?

BIBI (fühlt sich kurz ertappt, dann kommt ihr eine Idee): Ähhh… Das Erdbeerkompott, Mami! (Pause) Ich habe gedacht, wir könnten doch zum Nachtisch Erdbeerkompott mit Schlagsahne essen. Wenn es schon keine Pommfritz gibt…

BARBARA (noch immer aus der Küche rufend): Das ist eine ganz vorzügliche Idee! (bedauernd) Das Stinkmorchelsoufflé ist mir nämlich auch völlig misslungen. (zu sich) Es ist doch zum Fledermausmelken heute! (zu Bibi) Holst du gleich zwei Gläser aus dem Keller, Bibilein? Du weißt doch, Erdbeerkompott mag Papi fast noch lieber als seine heißgeliebten Buletten.

BIBI: Bin schon unterwegs, Mami! Bin schon unterwegs!

BIBI RENNT AUS IHREM ZIMMER IN DEN FLUR.

BARBARA: Aber Bibi, denke daran, du musst die Treppe nehmen, der Aufzug ist kaputt. (energisch) Und es wird nicht gehext! Du weißt doch, wie schreckhaft Frau Müller-Oberstern auf Hexereien reagiert. Sie hat doch ein so schwaches Herz…

BIBI: Ich versprech’s, Mami! Keine Hexereien! (kichert)

ETAGENTÜR FÄLLT INS SCHLOSS, BIBI RENNT DIE TREPPE HERUNTER.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 06

SZENE 07: IN BLOCKSBERGS KELLER

BIBI DURCHWÜHLT IM KELLER SCHRÄNKE, REGALE UND ALTE UMZUGSKISTEN (ENTSPRECHENDE RUMPELGERÄUSCHE).

ERZÄHLER: ‚Die Antwort liegt im Keller!‘ Na, etwas genauer hätte sich dieser briefeschreibende Boris ja schon ausdrücken können. ‚Die Antwort liegt in Bernhard Blocksbergs Werkzeugkasten im dritten Regalfach von oben gleich hinter der Kellertür.‘ So zum Beispiel. Aber im dritten Regalfach von oben liegt die Antwort natürlich nicht. Und auch nicht im zweiten oder im ersten. Da hat Bibi nämlich schon nachgesehen. Und jetzt gerade durchwühlt sie einen Umzugskarton mit allerlei Krimskrams.  

BIBI (keuchend, aus der Puste): Was haben wir denn hier? (zieht einen Gegenstand aus dem Karton) Zenzis Ersatz-Kuheisen! Na, das hilft mir jetzt auch nicht weiter! (wirft das Kuheisen mit einem dumpfen metallischen Klirren zurück in die Kiste und wühlt weiter) Und hier? (Papier raschelt) Papis gesammelte Ausgaben des Neustädter Abendblatts! (äfft einen pathetischen Werbeton nach) ‚Das Neustädter Abendblatt – Wo andere lügen wie gedruckt, drucken wir die Wahrheit‘. (Pause, dann seufzend) Ach, wenn ich doch nur wüsste, wonach ich suche! Dann könnte ich es ja ganz einfach herbeihexen. Aber so… 

WEITERE WÜHL- UND RUMPELGERÄUSCHE.

Bibi (auf die Uhr schauend): Oh nein! Fast zwei! Gleich muss ich hoch, sonst schöpft Mami noch Verdacht. (wühlt weiter) Mhhhhhh, was steckt denn da fest? (schreit angewidert auf) Iiiiiihhhh! Alte Stinkesocken! Mit riesigen Löchern! Also Papi kann auch wirklich gar nichts wegschmeißen…

ERZÄHLER: Alte Stinkesocken mit Löchern drin? Was Bernhard Blocksberg damit wohl noch anfangen will? (kurze Pause) Naja, das geht mich ja auch nichts an! Aber hilfreich ist es wirklich nicht, wenn alle Sachen kreuz und quer in unbeschrifteten Kisten verteilt liegen. Zumindest dann nicht, wenn man etwas Bestimmtes finden will. Und so sehr sich Bibi auch abmüht, fündig wird sie nicht. Nirgends eine Spur, die auf Boris verweist. Ob sie der geheimnisvolle Zettelschreiber vielleicht doch nur veräppeln wollte?

BIBI: Es hilft nichts. Ich muss wieder hoch und später weiter suchen. Schnell noch die beiden Gläser mit Erdbeerkompott …

KLIRRR! SPLITTERNDES, SCHMATZENDES GERÄUSCH.

ERZÄHLER: Jetzt sind Bibi doch tatsächlich die beiden Einmachgläser aus der Hand gefallen und auf dem harten Kellerboden zersplittert. Was für eine Sauerei! Überall ist die klebrige Erdbeerpampe hingespritzt, auch in das Regal mit Barbara Blocksbergs Hexenbüchern.

BIBI: Oh nein, Mamis Hexenbücher… Schnell, ein Taschentuch! Nein, besser gleich sauberhexen… Eene meene mauber, Bücher seid wieder sauber. Hex-he… (unterbricht sich im letzten Moment) Komisch, was ist denn das? Da ist ja ein Spalt im Regalboden! Wenn die Soße da nicht hineingelaufen wäre, hätte ich den nie bemerkt. Mal schauen, wenn ich etwas daran ruckele und ziehe… Uuuuund eins… uuuund zwei … uuuund drei…

KNIRSCHENDES, SPLITTERNDES GERÄUSCH. 

BIBI (aufgeregt): Ein Geheimfach! Im Regalboden! Ich glaube es nicht! Und was ist denn das hier?

BIBI ZIEHT ETWAS AUS DEM VERSTECK, PUSTET DEN STAUB VON DER OBERFLÄCHE UND ÖFFNET DEN PAPPDECKEL.

BIBI (überrascht): Ein Schuhkarton! Mit Briefen drin… Nein, keine Briefe. Postkarten!

ERZÄHLER: Tatsächlich! Ein ganzer Schuhkarton voller Postkarten. Das müssen mindestens 30 Stück sein! Aber eine Sache ist seltsam: Alle Karten zeigen dasselbe Motiv: ein Kurhotel an der Nordseeküste.

BIBI (skeptisch): Wer schickt denn 30 Mal dieselbe Karte? (lesend) „Grüße aus Bad Bannheim“ steht vorne draufgedruckt. Aber hier, auf der Rückseite, ist etwas mit der Hand geschrieben. Ganz schön krakelig. „Bin angekommen, B.“ Und hier: „Ich vermisse euch, B.“ Und hier: „Warum meldet ihr euch nicht mehr? B.“ Oh jemine, das klingt ja gruselig.

ERZÄHLER: Ja, das klingt wirklich gruselig. Und noch etwas ist ganz schön merkwürdig: Alle Postkarten wurden an dieselbe Adresse geschickt: Familie Blocksberg, Hochhausblock A im 20. Stock in Neustadt.

BIBI: Dieser B., das muss Boris sein! Aber wer ist das nur und warum hat er uns so oft geschrieben?

ERZÄHLER: Na, das ist wirklich eine gute Frage. Seid ihr auch schon so gespannt, wie die Antwort lautet? Aber jetzt ist erst einmal Mittag angesagt. Also verstaut Bibi den Schuhkarton wieder ordnungsgemäß im Geheimfach, hext die kaputten Einmachgläser wieder heile und eilt die 20 Stockwerke zurück in Blocksbergs Wohnung.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 07

SZENE 08: BEI MARITA

ERZÄHLER: Beim gemeinsamen Mittagessen erzählt Bibi kein Sterbenswörtchen von den Postkarten, die sie im Keller gefunden hat. Ganz im Gegenteil: So still wie Bibi jetzt am Tisch sitzt, habe ich sie selten gesehen. Selbst als Barbara Blocksberg die angebrannten Otternasen serviert, schluckt Bibi das Essen ohne Murren herunter. Gut, vorher hat sie natürlich ganz viel Ketchup auf die schwarzen Stellen geschmiert. Aber das hat selbst Bibis Mutter diesmal so gemacht. Natürlich heimlich. Oder zumindest hat sie geglaubt, niemand hätte es gesehen. (Kurze Pause) Und Bernhard Blocksberg? Der hat sich nur kurz gewundert, dass seine Frau nicht Zeter und Mordio geschrien hat, als er seinen Teller mit den Otternasen wortlos zur Seite gestellt und sich eine kalte Bulette aus dem Kühlschrank geholt hat. Aber wie heißt es so schön: Einer geschenkten Bulette schaut man nicht ins Maul. (Kurze Pause) Nach dem Essen springt Bibi aber wie von der Tarantel gestochen auf, schwingt sich auf ihr Fahrrad und fährt erst zur Stadtteilbibliothek von Neustadt und dann zum Modegeschäft von Maritas Eltern. Dort hilft Marita heute nämlich bei der Inventur mit.

MARITA (aufgeregt): Ach, du meine Güte, Bibi! Das klingt ja wie im Krimi! Und du weißt wirklich nicht, was dieser Boris mit eurer Familie zu tun hat?

BIBI: Neeee, keine Ahnung! Aber ich habe gerade eben noch Nachforschungen in unserer Stadtteilbibliothek angestellt.

MARITA (etwas spöttisch): In der Bibliothek? Na, du gehst ja mit der Zeit.

BIBI (belehrend-zitierend): In einem guten Buch versteckt sich mehr Wissen als auf 100 Internetseiten. (schulterzuchend) Sagt zumindest Oma Grete.

BIBI WÜHLT IN IHREM RUCKSACK, HOLT EINEN NOTIZBLOCK HERAUS. 

BIBI: Also… (liest in ihren Notizen) Dieses ‚Bad Bannheim‘ gibt es tatsächlich. Der Ort liegt direkt an der Nordsee, ist aber so winzig, dass er nur auf ganz genauen Karten auftaucht. Anfang des 20. Jahrhunderts hat Kaiser Wilhelm II. dort einmal einen Schnupfen auskuriert. Daraufhin wurde gleich ein großes Kurhotel gebaut. Am Anfang kamen die Gäste noch in Scharen, wegen der guten Luft. Aber mit einem Mal ist der Besucherstrom abgerissen. Von einem Tag auf den anderen. Und seitdem findet man nirgendwo mehr etwas über Bad Bannheim – nicht einmal im Internet! (verschwörerisch) Als sei dieser Ort einfach von der Bildfläche verschwunden…

MARITA: Das wird ja immer mysteriöser.

BIBI: Genau! Und deswegen muss ich auch dorthin. Um mehr herauszubekommen. Und DU besorgst mir ein Alibi!

MARITA: Ein Ali…?

BIBI: Eine Ausrede. Ich fliege am Wochenende auf Kartoffelbrei hin, aber meinen Eltern sagen wir, dass ich bei dir übernachte.

MARITA (zweifelnd): Aber Bibi…

BIBI: Nichts aber! Ich muss einfach herausfinden, was mit diesem Boris los ist. Und was unsere Familie damit zu tun hat. Sonst geht das für immer so weiter mit dem Pech und den Zetteln… Und Baldrian müssen wir auch wiederbekommen!

MARITA: Dann nimm mich mit, Bibi! (flehend) Bitteeee! Ich will doch wissen, wie die Geschichte weitergeht. (ehrlich besorgt) Und ich will dich nicht alleine lassen.

BIBI (bestimmt): Nein. Auf gar keinen Fall. Da ist irgendeine Hexerei im Spiel. Und das könnte gefährlich werden. (Tonfall jetzt weicher, besorgter) Und ich will nicht, dass dir etwas passiert. Wenn ich bis Montag nicht wieder da bin, gehst du zu Mami und Papi und erzählst ihnen alles…

MARITA: Na gut. Aber nimm dir eine Taschenlampe mit! Irgendwie habe ich das Gefühl, das Hexenkönnen alleine diesmal nicht ausreicht…

BIBI (bedeutungsschwanger): Da könntest du recht haben…

ERZÄHLER: Ach, Bibi, ich halte das ja auch für gar keine gute Idee! Die eigenen Elternanlügen? Ganz alleine auf einem Besen bis zur Nordsee fliegen? Nur weil ein geheimnisvoller Fremder es so will? (seufzt) Aber ich bin ja nur der Erzähler dieser Geschichte. Und auf Hörspielerzähler hört ja sowieso niemand.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 08

SZENE 09: IN BLOCKSBERGS KÜCHE, ZWEI TAGE SPÄTER

ERZÄHLER: Die zwei Tage bis zum Wochenende vergehen wie im Flug. Während der ganzen Zeit vermeidet es Bibi tunlichst, das Wort ‚Boris‘ noch einmal in den Mund zu nehmen. Schließlich dürfen Mutter Barbara und Vater Bernhard auf keinen Fall Verdacht schöpfen. Aber die beiden haben derzeit auch ganz andere Sorgen: Bernhard Blocksberg arbeitet sich jeden Tag grummelnd durch die Stellenanzeigen in der Neustädter Zeitung. Und Barbara Blocksberg ist zähneknirschend in ein Besenfachgeschäft gegangen, um sich einen Ersatz für Baldrian zu besorgen, der immer noch verschwunden ist. Aber so richtig glücklich sieht sie mit ihrer Neuerwerbung nicht aus – obwohl die Marke „Feuerblitz“ angeblich „der neuste Schrei“ sein soll. Das sagt zumindest die Werbung. (spöttisch) Und die Werbung hat natürlich immer recht.

BARBARA (klagend): Was ist denn das für ein Besen? Der hat ja überhaupt keine Borsten mehr!

BERNHARD (von der Zeitung aufschauend): Na, das steht doch hier auf der Verpackung. (liest vor) „Statt herkömmlichen Borsten verfügen die Besen der Marke „Feuerblitz“ über ein patentiertes Microschaum-Kehrteil aus 100% Polyurethan, das die optimale Reinigung von Ecken und Kanten garantiert.“ (schnaubt)

BARBARA: Ach, mit so einem komischen Ding mache ich mich doch zum Gespött auf dem nächsten Hexentreffen!

BERNHARD: Na, das hättest du dir überlegen müssen, bevor du das Ungetüm gekauft hast!

BARBARA (bestimmt): Also, jetzt reicht es aber, Bernhard! Meinen Besen beleidigen, das darf immer noch nur eine. Und das bin ich! (zu ihrem neuen Besen, tröstend) Nimm es dir nicht so zu Herzen, Lebertran!

BERNHARD und BIBI (kichern gemeinsam ungläubig): Hihihi, Lebertran?

BARBARA: Was ist denn bitte so schlimm an Lebertran? Lebertran schmeckt doch vorzüglich!

BERNHARD und BIBI (machen übertrieben laute Würggeräusche): Üäääääähhrg!

BARBARA (ärgerlich): Verflixt und zugehext nochmal!  Lebertran, jetzt zeig ihnen mal, was du kannst! (Pause) Eene meene steiler Zahn , die Küche kehre, Lebertran! Hexhex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH. 

DANN PUTZGERÄUSCHE. UND PLÖTZLICH DAS LAUTE KLIRREN VON ZERBORSTENEM GESCHIRR AUF DEM BODEN.

BARBARA (verzweifelt): Nein, Lebertran. Aufhören! Du sollst doch nur auf dem Boden kehren, und nicht auch noch auf dem Tisch! (klagend) Ach, was für eine schöne Bescherung! Das gute Porzellan von Oma Grete!

BERNHARD (spöttisch): Na, eins muss man Lebertran lassen. Faul ist er nicht. Der kehrt sogar dort, wo er gar nicht soll.

BARBARA: Bern. Hard. Blocksberg! Ich hexe dir gleich den Mund zu, wenn du nicht sofort still bist.

BERNHARD: Ich schweige ja schon wie ein Grab. (gespielt klagend) Ach, hätte ich doch nur auf meine Mutter gehört. Heirate lieber die Mechthild von der Sparkasse! Die ist…

BARBARA (vervollständigt den Satz): …patent und bodenständig. Jaja. (Pause) Aber auch stinklangweilig und dumm wie Bohnenstroh.

BERNHARD (grinst): Und da, liebstes Eheweib, kann ich dir nun wirklich nicht widersprechen.

BARBARA, BERNHARD UND BIBI LACHEN GEMEINSAM.

ERZÄHLER: Na, so ist es eben bei den Blocksbergs. Was sich liebt, das neckt sich. Und das gilt selbst dann, wenn das Pech doppelt und dreifach an die Tür klopft.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 09

SZENE 10: IN BIBIS ZIMMER

ERZÄHLER: Den ganzen Nachmittag über sitzt Bibi in ihrem Zimmer und packt. Nun, wenn man es genau nimmt, packt Bibi gleich zwei Mal. Auf den ersten Haufen wirft sie alle möglichen Dinge, die man für eine Pyjamaparty gebrauchen könnte. Das Spiel „Hexe, ärgere dich nicht“ zum Beispiel. Ihr aktuelles Lieblingsbuch „Hanni und Nanni sind immer dagegen“. Und ihren kuscheligsten Schlafanzug. Den mit dem Pferdemuster. Denn das hat Bibi ihren Eltern ja erzählt: Dass sie mit Marita das ganze Wochenende im Bett herum gammeln möchte. Filme schauen, Kissenschlachten veranstalten. Und ganz viel quatschen. Barbara Blocksberg war ja ein wenig skeptisch…

BARBARA (skeptisch): Nur gammeln wollt ihr? Das klingt aber ganz schön langweilig. Und so gar nicht nach einer echten Blocksberg.

ERZÄHLER: Es stimmt ja, langweilig geht es bei Blocksbergs nun wirklich nicht zu! Erinnert ihr euch noch an Zenzi, die Kuh? Oder Fiffi, den frechen, sprechenden Hund von Frau Paschulke? Oder an die Sache mit der Eierpampe? (Pause) Aber Papa Bernhard war begeistert.

BERNHARD: Nun lass sie doch, Barbara-Mäuschen! Endlich will unser Kind mal etwas Normales tun. Wie ein (betont) ganz normales Mädchen in ihrem Alter.

BARBARA (missmutig): Aber das ist es ja! Bibi ist nicht normal. (sehr stolz) Bibi ist etwas ganz Besonderes!

ERZÄHLER: Wo Barbara Blockberg recht hat, hat sie recht. Aber ihrem (macht BARBARA nach) ‚Bibi-Mäuschen‘ eine schöne Zeit mit Marita verderben, das möchte sie auch nicht. Und deswegen hat sie die Pyjamaparty natürlich erlaubt. Ach, wenn sie nur wüsste…

PACKGERÄUSCHE, IM HINTERGRUND HÖRT MAN BIBI SACHEN ZUSAMMENSUCHEN.

ERZÄHLER: Neben den ersten Haufen – den mit den Sachen für die Pyjamaparty – packt Bibi nämlich noch einen zweiten. Und dort landet alles, was ihre Eltern auf keinen Fall sehen dürfen. Dinge, die sie für ihren nächtlichen Besenflug braucht: Ein Schal und eine warme Pudelmütze. Eine Butterbrotdose mit Schokokeksen. Und eine Taschenlampe mit richtig hellem Xenonlicht. Natürlich packt Bibi auch ein paar Hörspiele in ihren alten Walkman. Falls es oben über den Wolken langweilig werden sollte.

BIBI DURCHWÜHLT JETZT IHRE REGALSCHUBLADE. 

BIBI: Wo hab ich ihn nur? (wühlt weiter) Wo ist er bloß? (triumphierend) Ach, HIER hast du dich verkrochen!

ERZÄHLER: Nanu, was für ein seltsames Gerät hält Bibi denn da in der Hand? Eine Taschenuhr? (Pause) Nein! Eine Uhr hätte ja zwei Zeiger auf dem Zifferblatt. Aber da ist nur ein Pfeil, der sich um die eigene Achse dreht. Und anstelle von 12 Ziffern stehen oben, unten, links und rechts vier Buchstaben: ein N, ein O, ein S und ein W. (Kurze Denkpause, dann triumphierend) Aber natürlich! Ein Kompass! Um über den Wolken die Orientierung nicht zu verlieren, braucht Bibi natürlich einen Kompass. (dozierend) So weit oben in der Luft kann man sich auf Handys nämlich nicht verlassen. Außerdem ist Bibis Akku sowieso immer leer.

BIBI: So, und jetzt stopfe ich die Sachen für meinen Flug ganz nach unten in den Rucksack.(stopft, drückt) Kartoffelbrei, komm! Du musst auch hinein. (Pause) Aber du bist ja viel zu groß! (Kurze Denkpause) Mhhhh… Ich hab’s! Eene meene Schorlenwein, Kartoffelbrei werd‘ richtig klein. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

BIBI: Hihi, jetzt ist Kartoffelbrei klein wie eine Zahnbürste. Ja, so passt es besser! (Pause) Und noch obendrauf das ganze Zeug für meine (spricht die Anführungszeichen mit) „Pyjamaparty“. Hihihihihi. Ich bin schon eine schlaue Hexe. Das merkt Mami nieee!

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 10

SZENE 11: ABFLUG!

FRÜHER FREITAGABEND, ES DÄMMERT SCHON. BIBI STEHT DRAUSSEN VOR DEM EINGANG VON HOCHHAUS A, IN DEM FAMILIE BLOCKSBERG WOHNT. IHRE MUTTER IST MIT HERUNTER GEKOMMEN.

BARBARA: … und mach bloß keinen Unsinn!  

BIBI: Aber (langgezogen) natüüüüürlich nicht, Mami. Und ich verspreche…

BARBARA (bestimmt): Keine Hexerei! Ich möchte nicht, dass heute Nacht irgendwelche lebendig gehexten Bettlaken als Gespenster ihr Unwesen in Neustadt treiben.

BIBI: Lebendige Bettlaken. Hihihi. (Pause) Versprochen, Mami. Keine Hexerei!

ERZÄHLER: Nanu, hat Bibi da etwa die Finger hinter ihrem Rücken gekreuzt? Das ist ja eine…

BARBARA (unterbricht ERZÄHLER, ruft): Also dann, bis Sonntagabend, Bibi! Ich muss wieder hoch. Die (betont) Krötenklöße brennen sonst an. (winkt und ruft BIBI hinterher) Und pass gut auf dich auf!

BIBI (kann es nicht erwarten, zu gehen): Mach ich, Mami, mach ich!

ERZÄHLER: Und schon hat sich Bibi auf ihr Fahrrad geschwungen und ist losgeradelt. Allerdings nur bis zur nächsten Ecke. Dort steigt sie wieder ab und – ach Bibi! Du kannst dein Rad doch nicht einfach so in die Büsche werfen!

BIBI: So, die Luft ist rein. Und mein Rad ist auch gut versteckt. Wäre ja ganz schön auffällig, wenn Mami es hier morgen früh finden würde. Und jetzt…

BIBI WÜHLT IN IHREM RUCKSACK UND ZIEHT DEN KLEINGEHEXTEN KARTOFFELBREI HERAUS. (ENTSPRECHENDE GERÄUSCHE)

BIBI: Eene meene einerlei, werd wieder groß, Kartoffelbrei! Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

KARTOFFELBREI HAT WIEDER SEINE NORMALE GRÖSSE.

BIBI: So gefällst du mir viel besser Kartoffelbrei! Und vorne an den Stil binde ich dir noch die Taschenlampe und schalte sie an. (Taschenlampe klickt) So, jetzt sehen wir auch im Dunkeln auch was. (Pause) Eene meene mai, flieg los, Kartoffelbrei. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

KARTOFFELBREI STEIGT AUF. WIND BLÄST.

BIBI: Brrrrrrr, ist das kalt. Und so hoch! Von hier oben sieht Neustadt ja aus wie eine richtige Zwergenstadt. (kichert, Pause) Was ist denn das da unten? Dieser hässliche Schuhkarton? Das muss das Rathaus sein. (Pause) Und da, schau mal, Kartoffelbrei, die Kirche! (stuzig) Komisch… Steht da auf dem Kirchturm etwa ein Elefant? (besorgt) Oh je, das muss schon dieser Sauerstoffmangel sein, von dem ich gelesen habe. Ich hex mir lieber etwas Luft zum Atmen, die ist hier ganz schön dünn: Eene meene Vatikan, Bibi über den Wolken atmen kann. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

BIBI (atemt tief ein): Ahhhhh. So ist es schon viel besser. (Pause) Und jetzt noch ein Blick auf den Kompass und… hier entlang, Kartoffelbrei!

WIR HÖREN FÜR CA. 5-10 SEKUNDEN WIE KARTOFFELBREI BESCHLEUNIGT. DAZU: WIND BRAUST.

Bibi (nachdenklich): Mhhh, was meinst du, Kartoffelbrei? Ob uns dieser Boris heute in Ruhe lässt? (Pause, dann optimistisch) Ich glaube ja schon! Er hat uns zwar allen gehörig die Suppe versalzen, aber wirklich gefährliche Sachen sind ja nicht passiert. Und außerdem glaube ich, dass er sogar will, dass ich sein Rätsel löse. Sonst schreibt man doch keine Zettel mit Hinweisen drauf! Es ist ein bisschen so wie bei einer Schnitzeljagd. (dann doch etwas skeptisch) Allerdings schon wie bei einer ganz schön gruseligen…

INSTRUMENTALMUSIK.


ENDE SZENE 11

SZENE 12: IM FLUGZEUGCOCKPIT

IM COCKPIT EINES FERIENFLIEGERS AUF DEM WEG VON IBIZA ZURÜCK NACH HAMBURG. WIND BRAUST. FLUGZEUGTURBINEN LÄRMEN. WIR HÖREN DIE TYPISCHEN GERÄUSCHE EINES FLUGZEUGS (hier anhören) IN DER LUFT. DANN… LAUTES SCHNARCHEN.

PILOT (schnarcht): Chhhhhhhrrrrrrr… Chrrrrrrrrrrr… (Kurze Pause, dann lauter) CHRRRRRRRRRRR…

TÜR ZUM COCKPIT ÖFFNET SICH. 

STEWARDESS (genervt): Na großartig! Jetzt ist der Pilot schon wieder eingeschlafen. (Pause) Und der Co-Pilot pennt auch… (laut): AUFWACHEN, die Herren! AUFWACHEN!!!

PILOT SCHRECKT HOCH, CO-PILOT REIBT SICH VERSCHLAFEN DIE AUGEN.

PILOT (empört): Aber wieso brüllen Sie denn so, Fräulein Zietlow?  

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Ja, da komma ja gor net schlaffa. Bei so am Lärm! 

STEWARDESS (belehrend, aber auch etwas resigniert): Sie sollen auch nicht schlafen. Sie sollen ein Flugzeug fliegen!

PILOT (gespielt freundlich): Aber Fräulein Zietlow, schauen Sie mal… (gönnerhaft) Was sehen wir da vorne auf dem Pult?

STEWARDESS (schmallippig): Ein rotes Licht. Es blinkt.

PILOT: Geeee-nau. Es blinkt. Und wissen Sie auch, was das bedeutet…? (wartet ihre Antwort nicht ab, brüllt) DAS BEDEUTET, DASS DER AUTOPILOT ANGESCHALTET IST! Und der steuert das Flugzeug ganz alleine. Da können wir ruhig ein Nickerchen machen. 

STEWARDESS: Und wenn etwas Unvorhergesehenes passiert?

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Ja was soi nacha bittschön passiern? Mia fliang hirnverbrannte Urlauber von Ibiza zruck nach Hamburg. Seit 16 Johr scho. Hi und zruck. Hi und zruck. Und no nia is in denne 16 Johr ebbas (betont hochdeutsch) „Unvorhergesehenes“ bassiert. Und jetzat gengas wieder naus und bringa’s de Passagiere ihre Speibbeitel. Dass mindestens oaner von dene bsoffenen Versicherungsleid beim Landeanflug s’speim ofangt, des is nämlich etwas (betont hochdeutsch) SEHR VORHERGESEHENES!

STEWARDESS (geht, murmelnd): Idiot!

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt, aggressiv): Wos homs g’sogt? 

STEWARDESS: Ich habe gesagt, aber gern, (betont ironisch) LIEBER (noch ironischer) SEHR GEEHRTER Herr Baron von Richthofen!

COCKPITTÜR SCHLIESST HINTER STEWARDESS.

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Des is aber ausgschamt, is des! Heinz! Hast des g’hert, wos de Schnepfen…

PLÖTZLICH GREIFT DER PILOT NACH DEM STEUERKNÜPPEL UND REISST DIE NASE DES FLIEGERS HOCH (ENTSPRECHENDE GERÄUSCHE). AUS DEM PASSAGIERRAUM IST GESCHREI UND DAS KLIRREN VON ZERBORSTENEM GLAS ZU HÖREN. JEMAND KOTZT.

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt, brüllt panisch): HEINZ! Sagglzementnuamoi! Ja bist denn ganz narrisch? Homs dir ins Hirn g’Schissn oder wos? Heinz, jetzt sog doch amoi wos. Du bist ja ganz kasig im G’sicht. 

PILOT: Da war ein Mädchen in der Luft…

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): A Madl? In da Luft? 

PILOT: Ja, wenn ich es dir doch sage. Auf einem Besen ist sie geritten.

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Auf am Besen? In da Luft? 

PILOT: Ja-haaaa! Und fast wären wir zusammengestoßen! Ich konnte gerade noch die Nase hochziehen und…

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Du, Heinz?

PILOT: Ja, Franz-Josef?

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Wie viele Grappa hast’n g’habt vorm Abflug? 

PILOT: Vier, Franz-Josef.

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Und siggst du da vielleicht an Zusammenhang, Heinz? 

PILOT: Einen Zusammenha…? (ihm geht ein Licht auf, erleichtert) Ja, natürlich! Ja, klar! Der Grappa war’s! Sonst würd‘ das ja bedeuten, dass ich wahnsinnig werd‘. Mädchen fliegen höchstens von der Schule, aber nicht auf Haushaltsgeräten 10.000 Meter hoch über dem Boden.

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Und was lerna ma draus, Heinz? 

PILOT: Dass ich beim nächsten Mal nur noch drei Grappa trinke, Franz-Josef?

CO-PILOT (im bayerischen Dialekt): Ganz genau, Heinz. Ganz genau. 

INSTRUMENTALMUSIK, ABER DIESMAL NICHT DIE NORMALE BIBI-ZWISCHENMELODIE, SONDERN BAYERISCHE MARSCHMUSIK (hier anhören).

ENDE SZENE 12

SZENE 13: BAD BANNHEIM

WIND BRAUST. KARTOFFELBREI FLIEGT. BIBI NÄHERT SICH IHREM ZIEL.

BIBI (erleichtert): Puh, Kartoffelbrei. Das war aber ganz schön knapp mit dem Flugzeug gerade. Dabei hatte ich mir extra diese Kassette angemacht, damit ich nicht einschlafe… (kichert) Aber hast du das Gesicht von dem Piloten gesehen? Ganz bleich war es! Wie ein Harzer Käse! (kichert weiter)

ERZÄHLER: Also, (betont) ICH mag Käse ja sehr gerne. Besonders den, der so richtig schön stinkt. Aber Glück hatte Bibi ja schon, dass der Pilot sie noch im letzten Moment gesehen hat. Mannomann, (betont) war das wieder einmal knapp. Ich konnte gar nicht hinsehen. Aber irgendwie scheint Bibi wirklich einen Schutzengel zu haben. Einen ganz fleißigen, der immer auf sie aufpasst, wenn es brenzlig wird. (Pause, besorgt) Ich hoffe nur, dass der sich jetzt nicht schlafen gelegt hat… Es ist ja schon ganz dunkel draußen.

WIND BRAUST IMMER NOCH. BIBI SETZT LANGSAM ZUM SINKFLUG AN.

BIBI: So, Kartoffelbrei, gleich sind wir da. (zu sich selbst) Zur Landung den Besenstil etwas nach unten drücken… (Fluggeräusch verlangsamt) Ja, so ist’s gut! Und jetzt mitten durch die Wolken… HUI! (Fluggeräusch und Bibis Stimme gedämpft) Hihihi, das kitzelt in der Nase! (Pause, niest dann) Ha… Haaa… HAAAATSCHIIII!

BIBI WISCHT SICH DEN ROTZ MIT DER HAND VON DER NASE.

BIBI (aufgeregt, spricht mit Kartoffelbrei): Da hinten, schau mal, der große Klotz an der Küste. Das muss es sein! Da müssen wir hin!

ERZÄHLER: Ja, da steht es wirklich, dieses seltsame Kurhotel von den Postkarten, die Bibi in Blocksbergs Keller gefunden hat. Aber in diesem Hotel macht sicher niemand mehr eine Kur. Alle Fenster sind zersplittert. Im Dach klafft ein riesiges Loch. Und im Erdgeschoss wurden alle Eingänge und Fenster mit Brettern vernagelt. Für eine Hexe auf einem fliegenden Besen ist das natürlich kein Hindernis…

WIND BRAUST WEITER. FLUGGERÄUSCH WIRD IMMER LANGSAMER.

BIBI: Langsamer Kartoffelbrei, flieg langsamer… Wir landen oben auf dem Dach! (Kurze Pause) Aber ganz vorsichtig und leise! Wir wollen unseren ‚Gastgeber‘ doch nicht vorwarnen, dass wir schon da sind…

FLUGGERÄUSCH STOPPT. WIR HÖREN DIE FÜßE VON BIBI SACHT AUF DEM BODEN AUFSETZEN.

BIBI (flüstert): Geschafft! Puh! (Kurze Pause) So, und nun wieder zurück in den Rucksack mit dir, Kartoffelbrei. Ich muss beide Hände frei haben… Eene meene Schorlenwein, Kartoffelbrei werd‘ wieder klein. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

BIBI VERSTAUT KARTOFFELBREI WIEDER IN IHREM RUCKSACK.

BIBI (schaut sich um): Was für ein trostloser Ort! Alles kaputt. Mhhh… (Pause, entdeckt etwas) Da hinten wächst sogar ein kleiner Baum. Mitten auf dem Dach! Wie der wohl hier hochgekommen ist?

ERZÄHLER (in normaler Lautstärke, dozierend): Also Bibi, da hast du im Biologieunterricht bei Frau Müller-Riebensehl wohl nicht gut aufgepasst. Die Baumsamen können nämlich…

BIBI (zu Erzähler, zischend): Psssssssst! Nicht so laut!

ERZÄHLER (einsichtig): Ich bin ja schon leise. (Kurze Pause) Du hast ja recht, Bibi. Besser, wir flüstern jetzt nur noch… 

BIBI (flüstert): Hier! Hinter dem Baum! Da ist eine Tür! (läuft zur Tür) Mal sehen, ob… (BIBI drückt die Türklinke runter, knarzendes, quietschendes Scharniergeräusch) Nicht abgeschlossen… Da hab ich aber Glück gehabt.

BIBI TRITT DURCH DIE TÜR IN EINEN DUNKLEN TREPPENFLUR.

BIBI (flüstert): Puh, ganz schön duster ist das hier! Aber das haben wir gleich. Eene meene micht, es werde… (bricht den Hexspruch ab) Oh, nee. Besser nicht hexen. Am Ende leuchtet das ganze Gemäuer noch wie Frau Paschulkes Balkon zu Weihnachten. (Pause, kramt in ihrem Rucksack) Wo hab ich denn die Taschenlampe? (kramt weiter) Hier! (knipst die Taschenlampe in ihrer Hand an) So, viel besser… Und jetzt… Schritt für Schritt die Treppe hinunter. (knarzende Geräusche) Gaaaanz langsam und vorsichtig…

ERZÄHLER (flüstert): Oh weia! Pass bloß auf, Bibi! Diese Treppe sieht wirklich nicht vertrauenerweckend aus. Und mit dem Anschleichen wird es auch schwierig. Bei jedem Schritt von Bibi knarzen die Stufen nämlich so laut, dass…

HOLZ KNIRSCHT – UND BRICHT! BIBIS LINKER FUSS STECKT BIS ZUM KNIEIN DER TREPPE.

BIBI (schreit): AUAAAAA! (leichtes Wimmern, dann wieder leiser) Na toll. Das hat man sicher im ganzen Haus gehört! (zieht Fuß wieder aus dem Loch und bewegt ihn vorsichtig hin und her) Mhhh, wie ging noch mal der Spruch? (nachdenklich) Eeene meene Tee…? Eeene meene See…? (triumphierend) Ich hab’s! Eene meene Klee, Fuß tu nicht mehr weh! Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

BIBI (seufzt genüsslich, der Schmerz ist weg): Ahhhh. Viel besser!

ERZÄHLER: Ja, manchmal ist es wirklich von Vorteil, eine Hexe zu sein. Da muss man nicht lange warten, bis der Doktor einen Termin frei hat. Man hext sich einfach die Schmerzen weg und dann ist das Warten gar nicht mehr so schlimm.

BIBI GEHT WEITER DIE TREPPE HINUNTER, BIS SIE IN EINEM GANG STEHT.

BIBI: Kartoffelbrei, hörst du das auch? Musik!

GANZ LEISE IST GRAMMOPHONMUSIK ZU HÖREN. (hier anhören)

BIBI: Das kommt von dahinten!

BIBI GEHT EIN PAAR SCHRITTE IN RICHTUNG DER MUSIK, DIE IMMER LAUTER WIRD. DANN STEHT SIE PLÖTZLICH VOR EINER GROSSEN FLÜGELTÜR.

BIBI: Was für eine unglaublich große Tür! Da passt ja selbst der Bürgermeister zweimal durch. (kichert) Was steht denn da oben auf dem Schild? (liest vor) ‚Salon‘. (Pause) Mhhh. Mal sehen, ob ich diese Tür auch…

BIBI DRÜCKT DIE TÜRKLINKE. ERST KLEMMT SIE; DANN WIRFT SIE SICH MIT WUCHT MEHRFACH DAGEGEN. SCHLIESSLICH ÖFFNET SICH DIE TÜR. BIBI VERLIERT DAS GLEICHGEWICHT DURCH DEN SCHWUNG UND PURZELT IN DEN SALON. DANN SCHAUT SIE WIEDER HOCH UND…

ENDE SZENE 13

SZENE 14: IM SALON

IM SALON. WIR HÖREN DURCHGEHEND DIE GRAMMOPHONMUSIK (hier anhören) IM HINTERGRUND, JETZT ABER LAUTER.

BIBI (schaut sich ungläubig um): Ach du grüne Neune!

ERZÄHLER (zitiert belustigt): ‚Ach du grüne Neune‘? Mensch, Bibi! In welchem alten Sprüchebuch hast du denn (betont) DIESEN Ausdruck gefunden? (verschwörerisch sich den Zuhörern zuwendend) Ich dachte ja, Hexen lernen nur Hexsprüche auswendig… (Pause) Aber ich gerate schon wieder ins Plappern. Ohje, ohje! Das passiert mir immer, wenn ich nervös bin. Und gerade bin ich außerordentlich…

BIBI (unterbricht Erzähler): Das sieht ja aus wie ein altes Theater! (schnüffelt, es müffelt) … Büüüäääähhh, igitt! Wie ein ziemlich altes, schimmeliges Theater.

BIBI RAPPELT SICH AUF.

Erzähler (klemmt sich die Nase zu): Ja, es stinkt wirklich richtig muffig hier! (wieder ein bisschen deutlicher sprechend) Das kann doch nicht gesund sein! Und wie es hier aussieht! Stühle und Tische liegen zerborsten im Raum verstreut. Alte Sofas stehen an den Wänden, aus denen die Polsterfüllung quillt. Und überall diese Spinnweben… (Geräusch: ERZÄHLER versucht sich einen Weg durch die Spinnweben zu bahnen) Brrrrrrrrr… Hoffentlich sind die Spinnen gerade im Urlaub. Ich habe doch solche Angst vor…

BIBI (ruft, ERZÄHLER unterbrechend): Da hinten! Die Musik kommt von hinter der Bühne. (geht in Richtung Bühne) Aber man sieht ja gar nichts. Der Vorhang ist zu.

Erzähler (ruft warnend): Bibi, nein! GEH NICHT! (klagend-verzweifelt) Ohje, ohje, ohje! Warum hast du denn nicht deiner Mutter Bescheid gesagt? Das hier ist doch ganz klar ein Fall für Erwachse…

BIBI (unterbricht ERZÄHLER, entschlossen): Nein. Ich habe jetzt genug von diesem Kasperletheater! Wer einer Bibi Blocksberg Angst machen will, braucht mehr als ein paar Spinnenweben und Gruftimusik! 

PLÖTZLICH IST EINE KINDERSTIMME ZU HÖREN, SIE KOMMT VON HINTER DEM VORHANG.

STIMME (langgezogen, zischend): Bibiiiiiiiiii… Bibiiiiiiiiii…

BIBI (schluckt): Okay, eine gruselige Stimme aus dem Nichts ist schon besser… Aber egal. (zu sich) Eene meene dai, Mut der Portionen zwei. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ERZÄHLER: Na, ob das wirklich funktioniert? Sich einfach Mut anhexen, wenn man Angst hat? Aber Bibi sieht tatsächlich schon wieder etwas weniger bleich um die Nase aus. 

BIBI: So. Und jetzt mal sehen, was passiert, wenn ich an dieser Kordel ziehe… (Pause) Igitt, alles voller Schimmel…

BIBI ZIEHT TROTZDEM BEHERZT AN DER KORDEL, DER VORHANG TEILT SICH ENTZWEI.

BIBI (ruft): Ach du grüne Neune!

ERZÄHLER: Das kannst du aber laut sagen, Bibi! So etwas sieht man selbst bei Blocksbergs selten. Und die erleben ja so einiges komisches Zeug. Also… (beschreibend) Auf der Bühne steht ein einzelner Tisch. Und auf dem Tisch steht ein Kassettenrekorder, aus dem die gruselige Musik kommt, die Bibi schon die ganze Zeit hört. Aber noch viel gruseliger ist die Gestalt, die an dem Tisch auf einem Stuhl sitzt. Klein ist sie. Und einen schwarzen Umhang hat sie an, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Nur ein paar strubbelige Haare gucken vorne raus.

DIE GESTALT DRÜCKT DEN STOPP-KNOPF DES KASSETTENREKORDERS HERUNTER. DIE AUFNAHME DER GRAMMOPHONMUSIK STOPPT. 

GESTALT (immer noch langgezogen, zischend, aber mit spöttischem Unterton): Bibiiiiiiii… Bibiiiiiiiiiiiii…

BIBI (hat es sie Sprache verschlagen, stottert): Was… Wer… Bist du… ‚Boris‘?

GESTALT: Du erinnerst dich wirklich nicht, was?

BIBI (kommt vorsichtig näher, fragend): Aber woran soll ich mich denn…?

GESTALT SCHIEBT MIT IHREM FUSS EINEN STUHL VOR, DER GEGENÜBER AM TISCH STEHT. 

GESTALT: Setz dich. Wir müssen reden… (dramatische Pause, schlägt die Kapuze zurück) SCHWESTERLEIN…

INSTRUMENTALMUSIK. DRAMATISCH (hier klicken zum Anhören).

ENDE SZENE 14

SZENE 15: IN BLOCKSBERGS SCHLAFZIMMER

BARBARA BLOCKSBERG LIEGT IN IHREM BETT UND HAT EINEN ALPTRAUM. ERINNERUNGSFETZEN AN UNTERDRÜCKTE GESPRÄCHE UND VERGESSENE EREIGNISSE FLIEGEN IHR WILD DURCH DEN KOPF. KEINE WEITERE EINORDNUNG VON ORT UND ZEIT DURCH DEN ERZÄHLER.

BORIS (im Traum, quengelnd): Ich hab schon wieder Kohldampf. (Pause) Ich will Pommfritz. Einen Hamburger mit viel Ketchup. Öh… und mindestens zwei Sahnetorten. (hier anhören)

BARBARA WÄLZT SICH UNRUHIG IM BETT HIN UND HER.

BORIS (im Traum, quengelnd): Mami, schmierst du mir noch ein Nussnougatbrot?

BERNHARD (im Traum, genervt): Barbara, schließ den Jungen doch bitte (betont) IRGENDWO ein oder stopf ihn mit Pommfritz voll, damit er endlich still ist. (hier anhören)

BARBARA (wälzt sich weiter unruhig hin und her): Nein… Nein…

BORIS (im Traum): Mami, ist das ein Stück Regenwurm, so wie du ihn immer machst? (hier anhören) Mami, ich find Sommersprossen eklig. Besonders in der Suppe! (hier anhören)

BARBARA (murmelt unruhig im Schlaf): Sommer… Sprossen… 

BORIS (im Traum): Mami, Bibi will mich wieder in eine Banane verhexen! (Pause) Mami, Bibi ist schon wieder schweinsgemein zu mir!

BARBARA (murmelt unruhig im Schlaf): Banane… Boris…

BERNHARD (im Traum, energisch): Schluss, hier wird nicht gezaubert!

BIBI (im Traum BERNHARD und BORIS antwortend, spöttisch): Kannste auch gar nicht, du Versager!

BIBI (im Traum): Du bist ab-grund-tief dämlich, Bruder!

BARBARA (murmelt jetzt lauter unruhig im Schlaf): Mein Boris-Baby…

BORIS (im Traum): Ach, immer red ich Quatsch! Ich lass mich von euch scheiden, wenn ihr so weiter macht.

BARBARA (im Traum): Bitte, Boris, zieh aus!

BORIS (im Traum): Aber Mami, ich bin doch noch so klein!

BARBARA (murmelt jetzt lauter unruhig im Schlaf): So klein… viel zu klein…

BORIS (im Traum, quengelnd): Mami, ich will auch Hexen können wie Bibi!

BARBARA (im Traum): Aber das geht nicht, Boris-Schätzchen. Männer können nicht hexen! Das war schon immer so und so wird es immer sein. Basta! So, und jetzt iss (betont) ENDLICH deinen Grünkohl auf!

BORIS (im Traum): Siehste, Mami, es geht doch! Eene meene…

GRUSELIGE STIMME (nicht BORIS) LACHT (im Traum). IMMER LAUTER. IMMER VERRÜCKTER.

BARBARA (im Traum, liest schluchzend vor): ‚Bin angekommen.‘ ‚Ich vermisse euch.‘ ‚Warum meldet ihr euch nicht mehr?‘

BERNHARD (im Traum, traurig, versucht, seine Frau zu trösten): Ach, Barbara, das wird schon wieder… Boris wird sicher bald wieder…

BARBARA (unterbricht BERNHARD, im Traum und in echt schreiend): NEIIIIIIN, BORIS! BOOOOOOORIIIIIIS!

BARBARA BLOCKSBERG SCHRECKT SCHWEISSBEBADET AUS IHREM ALPTRAUM HOCH.

BERNHARD (verschlafen, leicht genervt): Ja, Mensch, Barbara, jetzt schrei doch nicht so rum! Ich hatte gerade einen soooo einen schönen Traum. Von Buletten. Bis zur Decke gestapelt! Und nirgendwo weit und breit dieser Hexenfraß…

BARBARA (unterbricht BERNHARD, plötzlich hellwach): Vergiss die Buletten und zieh dich an!

BERNHARD: Aber meine Liebe… Barbara-Mäuschen!… Es ist doch Wochenende. Und kein Kind im Haus! Wollen wir nicht lieber im Bett (verschwörerisch) … frühstücken?

BARBARA: Frühstück hexe ich uns unterwegs. Wir müssen sofort los! 

BERNHARD (spöttisch): Aber sagst du nicht immer: ‚Essen wird nicht gehext, Essen kocht man‘?

BARBARA: Das ist jetzt egal. Hier! (wirft BERNHARD seinen warmen Mantel aufs Bett) Zieh den Mantel an, es wird kalt auf Lebertran.

BERNHARD: Auf dem Besen? Also… ich weigere mich strikt, auf diesem (verächtlich) Reinigungsgerät… Wenn schon verreisen, dann mit der Bahn oder dem Flugzeug! Wie eine ganz normale… 

BARBARA (unterbricht BERNHARD): Wir verreisen nicht. Wir retten unseren Sohn. Und wahrscheinlich auch unsere Tochter. Ich bin mir sicher, dass Bibi nicht bei…

BERNHARD (perplex): Unseren Sohn? (lauter) Barbara, sag mal, bist du denn total verrückt geworden? Wir haben EIN Kind! (schreit fast) EIN KIND! Und das heißt Bibi. Und dieses Kind ist wirklich schon Arbeit genug!

BARBARA (verständnisvoll): Ach, Bernhard! Ich erkläre es dir unterwegs. (zieht BERNHARD die Bettdecke weg, murmelt zu sich) Ach, wäre mir doch meine Kristallkugel letzten Monat nicht in 1000 Stücke zersprungen! (lauter, zu BERNHARD) Aber jetzt los! LOS!

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 15

SZENE 16: EINE SELTSAME BEHAUPTUNG

BORIS UND BIBI BLOCKSBERG SITZEN SICH AM TISCH IM SALON DES ALTEN KURHOTELS GEGENÜBER. 

BIBI (ungläubig): Mein Bruder? Du? Du spinnst ja! Ich wüsste doch, wenn ich einen Bruder hätte! (etwas mutiger, konfrontativer) Vor allem, wenn er so hundsgemein wäre wie du! Und wenn er sich so komisch anziehen würde… (fragt spöttisch) Was sollen denn bitte diese komischen dunklen Klamotten? Und diese pechschwarze Robe? (kichert) Hihihi. Hast du die aus einem Karnevalsladen?

BORIS (verliert für einen Moment die Fassung, es platzt aus ihm heraus): Das… das ist meine Hexerrobe! Aus doppelt gewebtem Einhornhaar! Gefärbt mit echter Krakentinte!

BIBI (hat jetzt keine Angst mehr): Eine Hexerrobe? Was willst du denn (betont) DAMIT? Du kannst doch gar nicht hexen, das können nur Frauen! Das weiß doch jedes Kind!

BORIS (seufzt): Ach, Schwesterherz, wenn du wüsstest…

ERZÄHLER (etwas pikiert): Also (betont) ICH wüsste jetzt auch langsam gerne mal, was hier los ist. Ein Junge in komischen Klamotten, der behauptet Bibi Blocksbergs Bruder zu sein? Und der so tut, als sei er ein kleiner Hexer? Ganz schön merkwürdig das Ganze, ganz schön merkwürdig…

BIBI (trotzig): Also, (betont) ICH weiß ganz schön viel. Zum Beispiel, dass du Mamis Besen geklaut hast! Und hinter Papis Problemen auf der Arbeit steckst! Und dass du Bilder von Tina und Alex ins Netz gestellt hast und sie jetzt glaubt, dass ich…

BORIS (unterbricht BIBI, ebenfalls trotzig, aber mit einem traurigen Unterton in der Stimme): Weil ihr mich vergessen habt! Einfach so… (Pause) Selbst du! (bestimmt) Aber ich werde es dir schon zeigen…

ERZÄHLER: Und mit diesen Worten greift der Junge (korrigiert sich) … greift BORIS in seine schwarze Robe und… (verdutzt) Er wird doch nicht etwa…? (ruft jetzt warnend aus) Bibi, pass bloß auf! BIBIIIIIIII!(kurze Pause, dann erleichtert) Nein, hat er nicht. (zu den Hörern) Alles ist gut. Verzeiht, meine armen Nerven! Aber was hat Boris denn dann aus seiner Robe gezogen und direkt vor Bibis Nase auf den Tisch gelegt? Sind das etwa… (ungläubig) Kassetten?

BORIS: Kennst du die?

BIBI (beäugt die Kassetten misstrauisch, liest): „Eene meene Hexerei“… (liest vor, als würde sie mit dem Finger die Wörter einzeln abgehen) „Können Blocksbergs hexen?“ „Die Kuh im Schlafzimmer“, „Ein verhexter Urlaub“(ruft aus) Aber natürlich kenne ich die! Das sind alle meine Abenteuer! (Pause) Aber… warte mal… Hier… (liest) „Bibi und die Zauberlimonade“… Das ist seltsam… Da ist ja auch noch ein Junge vorne auf dem Bild mit drauf! (Pause, erstaunt ausrufend) Das bist ja du!

BORIS: Natürlich bin ich das! Weil wir die Zauberlimonade ja nur deshalb verkauft haben, um dem Bürgermeister eins auszuwischen. Weil der keine Radwege gebaut hat! Und weil ich fast von einem Auto überfahren wurde!

BIBI: Was für ein Quatsch! ICH wurde angefahren! Und ICH habe die Zauberlimonade ganz alleine verkauft. Undi danni hati deri Bürgermeisteri ganzi komischi gesprochi…

BORIS: Dann hör jetzt mal ganz genau zu, Schwesterherz…

BORIS ÖFFNET MIT EINEM KNOPFDRUCK DAS KASSETTENDECK. DIE KLAPPE SPRINGT AUF. ER LEGT DIE KASSETTE „BIBI UND DIE ZAUBERLIMONADE“ (hier anhören) EIN UND DRÜCKT DIE ‚PLAY‘-TASTE HERUNTER. ES ERTÖNT…

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 16

SZENE 17: ZURÜCK IM COCKPIT

FRÜH AM MORGEN. IM COCKPIT EINER UNS NICHT UNBEKANNTEN BOEING 747 AUF DEM WEG VON HAMBURG ZURÜCK NACH IBIZA. EIN FERIENFLIEGER VOLLER URLAUBSHUNGRIGER DEUTSCHER TOURISTEN. EIN JUNGGESELLINNENABSCHIED HAT DIE PROSECCOFLASCHEN SCHON GEKÖPFT. DIE TURBINEN DRÖHNEN.

PILOT (streckt die Arme in die Höhe und gähnt laut): Uuuuuuuuaaaaahhhh! Was hab ich gut geschlafen heute Nacht!

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): Gschlaffn, sogst? Vo wen’g g’schlaffn! I hob an Fernseher ganz genau ghert! De Wänd im Hotel sann dünn wia Babia!

PILOT (errötend, für einen Moment sprachlos): Oh,… Ähhh… Also Franz-Josef, es ist nicht… Ich kann dir…

CO-PILOT LACHT LAUT UND SCHALLEND (in bayerischem Dialekt): Harharhar, Heinz! Du bist ma oaner! Da brauchst ma nix vazeung! Des mit dene Biana und Bliamal kenn i scho! Und wo koane Biana…

PILOT (immer noch etwas verlegen): … ähhh ja. Wo keine Bienchen, da…?

CO-PILOT (vervollständigt den Satz, in bayerischem Dialekt): … do a Fernbedienung (lacht wieder laut und schallend)

PILOT STIMMT – ETWAS VERHALTEN – IN DAS GELÄCHTER EIN. STEWARDESS ZIETLOW BETRITT DAS COCKPIT.

STEWARDESS (räuspert sich betont): Äh-hämm! (gespielt freundlich) Und worüber lachen die Herren denn heute so herzlich?

CO-PILOT (poltert, in bayerischem Dialekt): Ach, des verstengas sowieso net, Sie Heigeing! (lacht dreckig) Bei Iahna im Fernsehn kimmt gwies bloß des Doktorzeigs nauf und nunter. „Frauenarzt Frank Stefan“…? (ruft zu Heinz) Heinz, wia hoast des nochamoi?

PILOT (unsicher): „Schwester Stefanie“?

STEWARDESS (zu Co-Pilot, kühl): Sie meinen „Dr. Stefan Frank“ (hier anschauen). Das läuft schon ewig nicht mehr. Aber Ihr Fernsehgeschmack scheint ja auch bei „Ein Herz und eine Seele“ (hier anschauen) stehen geblieben zu sein. Ekel Alfred ist ganz offensichtlich Ihr großes Vorbild… (geht ohne ein weiteres Wort aus dem Cockpit)

COCKPITTÜR SCHLIESST.

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): Kreizkruzefix-himmelherrgott-sakrament-mileckstamarsch! Mia glangts jetztat. I werd de ogsoachte Brunzkachl ozoang! De werd scho no lerna, wer im Cockpit d’Hosn…

PLÖTZLICH GREIFT DER PILOT NACH DEM STEUERKNÜPPEL UND REISST DIE NASE DES FLIEGERS HOCH. AUS DEM PASSAGIERRAUM IST GESCHREI UND DAS KLIRREN VON ZERBORSTENEM PROSECCOFLASCHEN ZU HÖREN. DIE BRAUT KOTZT.

CO-PILOT (brüllt, in bayerischem Dialekt): Sacklzementnochamoi! HEINZ! Hast du scho wieda des Madl aufm Besn in da Luft g’sehng oder wos?

PILOT (stammelt): Nein, Franz-Josef, nein. Da war kein Madl auf einem Besen…

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): Ja und warum bittschön ziagst dann de Nosn so hoch ois wuist zum Mond auffifliagn, Heinz?

PILOT: Da war eine Frau auf einem Besen, Franz-Josef.

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): A Weiberleid? (lauter) Ach, da is des Madl von gestern über d’Nacht erwachsen g’wordn, wos?

PILOT: Und ein Mann war da auch noch.

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): A Mannsbuid?

PILOT: Ja. Mit einer Bulette in der Hand.

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): A Weiberleid und a Mannsbuid mit am Fleischpflanzerl in da Hand auf am fliagenden Besn? (schreit) Ja, bist denn völlig narrisch g’worn?

PILOT: Ich schwöre dir, Franz-Josef, so war’s! Das war keine… (sic!) ‚Hallozination‘! Und Grappa hab ich gestern auch nicht angerührt…

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): Da huift nua oans, Heinz.

PILOT: Was denn, Franz-Josef?

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): Dei Fernseher bleibt heit Nocht aus!

PILOT: Aber, Franz-Josef…

CO-PILOT (brüllt, in bayerischem Dialekt): NX ABER!!!! (wieder ruhiger) Und jetzt machst schee den Autopilotn wieda nei und für a Stund de Augn zua. Net, dass d’no fliagende Elefantn in da Luft sigst!

PILOT: Und du übernimmst für mich, Franz-Josef?

CO-PILOT (in bayerischem Dialekt): Na, Heinz. Des kriagt der Autopilto scho von ganz alloa hi. I geh jetztat in de Passagierkabine. De Weiber vom Junggesellinenabschied hom sicher an guaden Obstler dabei. Nüchtern hoit i des nämlich nimma mit dir aus.

INSTRUMENTALMUSIK.

5 SEKUNDEN VOR ENDE DER MUSIK…

ENDE SZENE 17

SZENE 18: DER GEHEIMNISVOLLE HEXSPRUCH

…DRÜCKT BORIS BLOCKSBERG DEN STOPPKNOPF DES KASSETTENREKORDERS HERUNTER. MUSIK BRICHT AB. DIE FOLGE „BIBI UND DIE ZAUBERLIMONADE“ IST ZUENDE.

BORIS: So. Was sagst du jetzt?

BIBI: Dass ich wohl einen ganz schönen Schnupfen gehabt haben muss. (nachdenklich) Meine Stimme klang ja ganz schön komisch!

BORIS: Mannomann, nein! Was sagst du zu mir? 

BIBI: Mhhh… ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht bist du ja einfach ein bisschen verrückt? Ich meine, die Sache mit dem Hinterherspionieren und den Briefen klingt ja ziemlich doll nach (klopft sich mit dem Zeigefinger mehrmals an die rechte Schläfe) nicht mehr ganz dicht im Oberstübchen… Oder… Mmmhhh…(Denkpause, dann triumphierend) Ja, das ist’s! Du hast von mir in der Neustädter Zeitung gelesen, als ich den Bürgermeister geheilt habe! Und dann hast du dich selbst in meine Abenteuer hineingeschnitten! Weil du unbedingt eine Hexe als Schwester haben wolltest. Das ist ja auch etwas ganz Besonderes. Hat nicht jeder!

BORIS (stöhnt): Glaub mir, Schwesterherz, ich hätte gern darauf verzichtet. Aber irgendwie konnte ich dann doch nicht… (lässt den Gedanken einen Moment wirken, unbeendet, dann seufzt er) Es wird wohl das beste sein, wenn ich es dir einfach zeige. Aber… (tut sich schwer damit, die nächsten Worte auszusprechen, dann entschuldigend) du musst mir ein bisschen beim Hexen helfen…

BIBI (spöttisch): Wie? Der (betont ironisch) GROSSE HEXER in seiner (betont ironisch) GROSSEN ROBE aus ECHTEM Einhornhaar kann gar nicht hexen? Na, das hab ich ja gern! Du verkleidest dich als Hexer, aber richig hexen kannste nicht! Hihihi. Hab ich’s doch gleich gewusst. Alles erstunken und erlogen!

BORIS: Warte nur ab…

BORIS STEHT AUF, GEHT EIN PAAR SCHRITTE ZUM BÜHNENRAND, WO ER HINTER EINEM VORHANG ETWAS SUCHT.

BORIS: Wo hab ich ihn nur? (kramt) Wo steht er bloß? (triumphierend) Ah, hier! (zieht etwas hoch, stöhnt) Puh, ist der schwer!

BIBI: Ein alter Fernseher! Na, du bist ja echt (betont ironisch) WAHNSINNIG modern unterwegs! (kichert) Was willst du denn mit DEM Ding? Der gehört doch auf den Schrottplatz. Schau mal, das Stromkabel ist auch schon abgerissen!

BORIS: Wir brauchen keinen Strom für das, was ich vorhabe. (wuchtet den Fernseher auf den Tisch und stellt ihn ab und atmet schwer, noch ganz aus der Puste)

BIBI: Und das wäre…?

BORIS: Du musst mir jetzt nachsprechen. Hör genau zu. (spricht vor) Eeenemeene Haferbrei, Fernseher meine Zauberkugel sei. Nimm uns mit durch Zeit und Raum. An einen Ort, du glaubst es kaum. Nimm uns mit durch Raum und Zeit, Fernseher, wir sind bereit. Nach Neustadt bring uns, schnell, geschwind. Zu Blocksbergs, zu Vater, Mutter, Kind und Kind. Zeig uns, was lang vergessen war. Zeig uns, was damals echt geschah.“ Und dann sagst du…

BIBI (trocken): „Hex! Hex!“ Nehme ich an.

BORIS: Mensch, Bibi, jetzt sei doch nicht so blöde. Ich würd‘ es ja selber machen, aber…

BIBI: … aber du kannst nicht hexen!

BORIS: Nicht (betont) MEHR!

BIBI: Wenn du darauf bestehst, mein (betont spöttisch) BRUDERHERZ – ‚Nicht mehr!‘ Aber woher kennst du überhaupt so einen komplizierten Hexspruch? Das ist doch mindestens Hexengymnasialstufe…?

BORIS: Das wirst du schon sehen. (drängelnd) Also?!!

BIBI: Drängel nicht so! Ein guter Hexspruch braucht…

BORIS (energisch): BIBI!

BIBI: Jahaaaaa… Also, wie war das noch? Eeene meene Haferbrei, Fernseher meine Zauberkugel sei. Nimm uns mit durch Zeit und Raum. An einen Ort, du …

BORIS(ergänzt):  du glaubst es kaum…

BIBI:  An einen Ort, du glaubst es kaum. Nimm uns mit durch Raum und Zeit, Fernseher, wir sind bereit. Nach Neustadt bring uns, schnell, geschwind. Zu (zögert, ungläubig) Blocksbergs, zu Vater, Mutter, Kind und Kind. Zeig uns, was…

BORIS:  Zeig uns, was lang vergessen…

BIBI:  Zeig uns, was lang vergessen war. Zeig uns, was damals echt geschah. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER TIEFER, DONNERNDER, DRÖHNENDER ALS SONST. DANN: TYPISCHES HARFEN-RÜCKBLENDEN-GERÄUSCH.

ERZÄHLER: Nanu, nicht passiert? Oder…? (aufgeregt) Doch jetzt! Jetzt sehe ich was! Seht ihr das auch? (Pause) Ach, das habe ich ja ganz vergessen! Natürlich. Ihr könnt ja gar nichts sehen. Nur hören. Also, dann beschreibe ich euch mal genau, was gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist: Wir befinden uns in Blocksbergs Küche. Der Kalender an der Wand zeigt den 12. Juni. Aber nicht den 12. Juni in diesem Jahr, sondern im letzten. (aufgeregt) Ui, ist das spannend! Wir schauen in die Vergangenheit. Und da! Da ist auch Barbara Blocksberg! Sie steht am Herd und kocht. Und Vater Blocksberg hat sich an den Schrank gelehnt – ganz lässig sieht das aus, fast wie ein Cowboy – neben der Obstschale und schält sich gerade eine…

ENDE SZENE 18

SZENE 19: DIE BANANE

BEI BLOCKSBERGS IN DER KÜCHE. EIN KNAPPES JAHR ZUVOR. BERNHARD WILL GERADE IN EINE BANANE BEISSEN, ALS BIBI PANISCH IN DIE KÜCHE GESTÜRMT KOMMT…

BIBI (unterbricht den ERZÄHLER aus der vorangegangenen Szene, ruft):PAPIIIIIII, NEEIIIIIN! Nicht die Banane essen!!!

BERNHARD (belustigt-verwundert): Und wieso bitteschön nicht? Bananen sind gesund! Nicht so wie dieses Zeug, was eure Mutter…

BARBARA (warnend): Bernhard!

BERNHARD: Aber es stimmt doch! (um Verständnis flehend) Mein Schätzchen!Barbaralein! Versteh doch! Ich bin ein (betont) ganz normaler Mensch! Und wenn ich schon deine Entendrecksuppe auslöffeln muss, dann möchte ich meinen Körper vorher mit einer vitaminreichen Mahlzeit stärken. (lauter) Damit der diesen Fraß überhaupt runterkriegt! (entschlossen) Und jetzt beiße ich in diese Banane!

BIBI (fast panisch): Neiiiin, Papi!!! Tu’s nicht!!

BARBARA: Mensch, Barbara, jetzt sag doch auch mal was! Dein Kind spinnt mal wieder!

BIBI (entschuldigend, etwas trotzig): Ich spinne ja gar nicht. (druckst herum) Es ist nur…

BARBARA: Ich kann es mir schon denken. (tadelnd) Bibi! Hast du etwa wieder…?

BERNHARD (laut): WAS könnt ihr euch denken? Das ist mal wieder typisch. Alle wissen Bescheid, nur der Hausherr tappt im Dunkeln! Ach, hätte ich doch nur eine ganz normale…

BARBARA (streng): Jetzt sei doch mal still, Bernhard! Und leg die Banane zurück in die Obstschale. Das ist nämlich unser Sohn!  

BERNHARD (perplex, ungläubig): Unser…? Die Banane ist unser…? (Pause, dann versteht er, aufbrausend) BIBI, wie oft habe ich dir schon gesagt…

BIBI (sich verteidigend): Aber Boris hat mein Stickerheft von der Hexenball-Weltmeisterschaft versteckt. Und ich wollte ihn ja auch nach (betont) EINER Stunde zurückhexen! Aber dann hat Tina angerufen und…

BARBARA (setz ihren Satz fort): …und dann hast du vergessen, dass dein Bruder in der Obstschale liegt! (kurze Pause) Bibi, wenn Papi in die Banane gebissen hätte…

BIBI: Hat er aber nicht.

BERNHARD (streng, wütend): Nein, hat er nicht. Aber knapp war es. VIEL ZU KNAPP. Bibi, das setzt Hexverbot! Mindestens vier Wochen! Und Hausarrest obendrein! UND JETZT HEXT DU DEINEN BRUDER GEFÄLLIGST ZURÜCK. UND ZWAR STANTE PEDE!

BIBI (kleinlaut): Eene meene Fahne… Nein, eene meene… Eene meene… (noch kleinlauter) Ich glaub, ich hab den Hexspruch vergessen, Mami…

BARBARA: Das wird ja immer schöner. (energisch) Eene meene bensch. Banane sei wieder ein Mensch. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ERZÄHLER: Na, wenn es nicht so ernst wäre, müsste ich jetzt eigentlich laut loslachen. Es ist aber auch ein zu komischer Anblick! Anstelle der Banane sitzt plötzlich ein kleiner Junge in der Obstschale. Und dieser Junge sieht dem Jungen, der behauptet, Bibis Bruder zu sein, wirklich frappierend ähnlich. Nur, dass von seinem Kopf ein Bund Weintrauben herunterbaumelt. Und glücklich… nein, glücklich sieht dieser Junge wirklich nicht aus: Sein Gesicht und seine Augen sind ganz rot verheult. Und aus seiner Nase läuft der Rotz. (Pause, bemerkt dieses Detail erst jetzt) Und sein linkes Hosenbein, ja, sein linkes Hosenbein ist bis zum Bund aufgerissen! Weia, weia, weia!

BORIS (schnieft, Rotz hochziehend): Bibiiiiiiiiiii! Das war meine Lieblingsjeans! Und jetzt ist die total hinüber. Du bist echt die dümmste, blödste, bescheuertste Hexenkuh, die ich…

BERNHARD (tadelt BORIS): Na, na, na, mein Junge. Achte auf deine Sprache!

BORIS (schreit): Meine Sprache ist mir schweineschnurzegal! Ihr seid alle blöd! ALLE! ALLE! ALLE! Immer geht es hier nur um Bibi und ums Hexen. HEXEN,HEXEN, HEXEN. Ihr könnt mich alle mal…

BERNHARD (unterbricht ihn warnend): BORIS BLOCKSBERG!

BORIS RENNT AUS DER KÜCHE, DURCH DEN FLUR, REISST DIE ETAGENTÜR AUF UND RENNT DIE TREPPE RUNTER.

BARBARA (streng, aber doch etwas besorgt, ihm hinterher rufend): Boris! Komm sofort zurück. BOOORIIIIIS!

BERNHARD: Lass ihn, Barbara. Der Junge beruhigt sich schon wieder.

BARBARA (schnieft jetzt selbst etwas): Meinst du wirklich, Bernhard?

BERNHARD: Aber natürlich, mein Mäuschen! Da bin ich mir hundertprozentig sicher.(Pause) Ach, du grüne Neune! Fast hätte ich unseren eigenen Sohn gegessen! Barbara, ich glaube, ich muss mich erst einmal ein Weilchen hinlegen. Mir ist plötzlich ganz flau im Magen…

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 19

SZENE 20: DAS HEXENBUCH

BORIS BLOCKSBERG SITZT MIT VERHEULTEN AUGEN INMITTEN VON AUFGESCHLAGENEN HEXENBÜCHERN AUF DEM BODEN VON BLOCKSBERGS KELLER UND BLÄTTERT WILD SUCHEND DURCH DIE SEITEN.

BORIS (schniefend, grummelnd, zu sich selbst): Irgendwo hier muss es doch…

BORIS BLÄTTERT WEITER. ZIEHT ROTZ HOCH. PAPIER RASCHELT.

BORIS (weiter murmelnd): Irgendwo hier muss doch etwas stehen…

BORIS SCHLÄGT DAS BUCH ZU. SCHLÄGT EIN NEUES BUCH AUF. BLÄTTERT WEITER. SCHNIEFT.

ERZÄHLER: In den Keller ist Boris also gelaufen… Ach, der arme Junge! In eine Banane verhext zu werden… (streng) Also, Bibi, das war wirklich nicht sehr nett von dir! (Pause) Tja, und jetzt sitzt Bibis kleiner Bruder also auf dem nackten Kellerboden und blättert wie wild durch vergilbte Hexenbücher. Die Hexenbücher, die Mutter Blocksberg in den Keller gebracht hat, weil sie sie nur selten braucht. Und die, in denen Dinge stehen, für die Bibi noch zu jung ist. (Pause) Aber was sucht Boris denn hier bloß?

BORIS BLÄTTERT UND BLÄTTERT. ZIEHT ROTZ HOCH, GRUMMELT UND BLÄTTERT, BIS…

BORIS (aufgeregt): Hier! Hier steht etwas! (liest langsam vor) „Kapitel VII – Warum Männer nicht hexen können“ Mhhhhhhhhh… (blättert zur entsprechenden Seite und liest laut vor) „…wird das Hexen-Gen nur von Mutter zu Tochter vererbt…“

BORIS BLÄTTERT EINE SEITE WEITER.

BORIS (liest laut vor): „Selbst wenn ein Mann zu einer Frau verhext wird, heißt das nicht, dass er dann hexen kann.“ (laut aufstöhnend) Ach männo! Das ist (betont) SO unfair!

ERZÄHLER: Das ist es also! Boris will hexen lernen! Aber wie ihr ja alle wisst, können Männer nicht hexen. Ich finde das ja auch etwas gemein,… Aber so ist es nun einm…

BORIS (unterbricht Erzähler, triumphierend): Hier! (ganz aufgeregt) Hier steht etwas! „Kapitel VII, Unterkapitel 2 – Ausnahmen.“ (liest laut vor) „In äußerst seltenen Ausnahmefällen ist es bereits vorgekommen, dass Hexer, also männliche Hexen, geboren wurden.“ (blättert euphorisch um) „Das geschieht aber nur dann, wenn sich die Mutter während der Schwangerschaft ganz fest ein Mädchen gewünscht hat.“ (zu sich murmelnd) Ach neeee… Mädchensein ist blöde… (liest weiter vor) „Gibt es unter den Kindern einer Familie allerdings schon eine Hexe, besteht auf keinen Fall die Möglichkeit, dass das Hexen-Gen an einen männlichen Nachkommen weitervererbt wird. Wer also eine ältere Schwester hat, die hexen kann,…“ (bricht ab, stöhnt auf) Oh Mannnnn! Das ist (betont) soooooo unfair. (trotzig) Ich wünschte, es hätte meine Schwester nie gegeben…

ERZÄHLER: Na na na, Boris. So etwas wünscht man sicher aber nicht. Man weiß nie, was…

PLÖTZLICH IST EINE FLÜSTERNDE, FAST SCHLANGENARTIG ZISCHENDE STIMME VON GANZ HINTEN AUS DEM HEXENBUCHREGAL ZU HÖREN.

STIMME (flüsternd-zischend): Boorissss… (Pause) Boooooooo-risssssss…

BORIS (erschrocken, ängstlich): Wer… Wer ist da? (Pause, dann kommt ihm die Erkenntnis, ruft laut) BIBI! Das bist doch du! Komm raus! Du willst mich nur wieder ärgern, du olle Kuh! Aber darauf falle ich nicht rein! Du nervst!

STIMME (flüsternd-zischend): Booo-risssss… Boooooooo-risssssss…

BORIS (zweifelnd, zögernd): Bibi…?

BORIS GEHT LANGSAM UND VORSICHTIG IN RICHTUNG HEXENBUCHREGAL.

STIMME (flüsternd-zischend): Jaaaa genauuuu… Komm hiiiiier hinnnn…

BORIS: Wo… wo steckst du?

STIMME (flüsternd-zischend): Hierrrrrr ooooobennnnnn… Immm Regaaaal…

ERZÄHLER: Ach herrje! Das klingt aber gar nicht gut. Jetzt habe ich mich gerade daran gewöhnt, dass Bibi Blocksberg einen kleinen Bruder hat, an den sich niemand erinnern kann… Und dann höre ich auch noch Stimmen…? (ächzt) In was für einer seltsamen Geschichte bin ich denn (betont) JETZT schon wieder gelandet?

STIMME (flüsternd-zischend): Hiiiiierrr… Dassss zweiiiite Fachhhh vonnnn ooooobennnn…

BORIS (zögernd): Also, ich weiß nicht… Mami sagt immer, ich soll nicht auf Fremde hören. Und auf fremde Stimmen dann sicher erst recht nicht.

STIMME (flüsternd-zischend): Aber ichhh binnn doch nichhhht fremmmmd. Ichhh binnn dochhhh dein Urururururururururgroßvater. Mütterlicherseitsssss. Ich gehöre also zur Famiiiiilieee (Stimme kichert schrill.) Hihihihihi!

BORIS: Du spinnst ja. Mein Urururururururu…ähh großvater ist doch schon längst tot. Der muss ja schon 300 Jahre alt sein.

STIMME (flüsternd-zischend): Dreihundertvierundzwanziiiiig, um genau zzzzzuuuuu seiiinnn. 

BORIS: Das geht ja gar nicht. Menschen können nicht so alt werden. (Pause) Außer, sie können...

STIMME (flüsternd-zischend, beendet den Satz): … können hexxxxennnn… (kichert wieder schrill) Genauuuuuuu…

BORIS: Aber wie…? Ich dachte, Männer können nicht…

STIMME (plötzlich sehr laut): UNSINN! Dasssss wollennnn ssssie dirrrr nurr weissssmachennnnn…

BORIS (hin- und hergerissen): Du meinst, ich könnte wirklich…

STIMME (flüsternd-zischend): Jaaaaa… ich zeige es dir… Aber vorher musst du mir helfen… Meine ältere Schwester hat mich in dieses Buch gehext, weil ich besser  zaubern konnte als sie. Und dann hat sie mich einfach vergessen.

BORIS (verständnisvoll): Meine Schwester hat auch vergessen, dass sie mich in eine Banane gehext hat. Und dann hätte mich Papi fast verschluckt.

STIMME (flüsternd-zischend): Wie gemeiiiinnn. Aber jetzzzt kommm… Zieh mich herauuuusss… Dasss zweiteee Fachhhh von obennnn…

BORIS (tastet): Da ist nichts…

STIMME (lauter zischend): Weiterrrr hintennnnn! Losss! Stell dichhhhh auf die Zehenspitzzzzzzzen…

BORIS STELLT SICH AUF DIE ZEHENSPITZEN, TASTET IM REGAL HERUM UND FINDET DAS BUCH.

STIMME (zischend): Jaaaa, guuuut soooo… Ziehhh michhhh heraus…

BORIS ZIEHT DAS BUCH AUS DEM REGAL UND WISCHT STAUB MIT SEINER HAND VOM EINBAND.

BORIS: Aber da ist ja ein Schloss auf dem Einband… Und nirgendwo ein Schlüssel. Vielleicht ist es doch besser, wenn ich…

STIMME (zischend-einflüsternd): Aberrrr du willllllst doch hexennnnn lernennn… Kommmmm, es issst gannnnnz einnnnnfach… Schauuuu dirrrrr dasss Schlossssss genauuuu annnnn…

BORIS: Es ist ja ganz verrostet.

STIMME (zischend-einflüsternd): Jaaaa. Verrossstetttt. Loooooosssss. Schlag essss kaputtttt. Unnnnd dannnnnn öfffffne mich. Öffffffne mich – und ichhhh bringe dir das Hexen bei…

ERZÄHLER: Also, ich glaube ja nicht, dass dieses komische Buch etwas Gutes im Schilde führt. Was meint ihr? Diese Stimme alleine! Wie eine richtig hinterhältige Schlange hört sich das an… Ob die netten Blocksbergs wirklich einen so fiesen Vorfahren gehabt haben? (seufzt) Aber schwarze Schafe, die gibt es ja in jeder Familie… Aber Boris wird sicher vernünftig genug sein und nicht… 

KRACH. DAS SCHLOSS ZERSPLITTERT.

ERZÄHLER (verzweifelt): Das kann doch wohl nicht wahr sein! Da hat Boris doch tatsächlich das Schloss aufgebrochen. Mit einer alten Schaufel aus Vater Bernhards Werkzeugschrank. (ruft) Ach, Boris! Wo soll das nur hinführen?

BORIS (gespannt, aber noch etwas zweifelnd): Und du hilfst mir wirklich, ein richtiger Hexer zu werden?

STIMME (verführerisch): Aberrrr natüüüürlichhhhh. Verrrrsprooochennn issst verrrsprrrrochenn.

BORIS (entschlossen): Also gut. Was muss ich tun?

STIMME (zischelnd): Blätttttere innnn die Mitttttteee…

BORIS: Oh, das ist aber ein gruseliges Bild… Eine schwarze Wolke mit feuerroten Augen… (zögernd) Wer ist denn das?

STIMME (ausweichend): Ach, nichtssss. Garrr nichtsssss. Schau lieeeeber nachhh rechhhhhtssss untennnnn. Daaaa…

BORIS (aufgeregt): Ist das ein Hexspruch?

STIMME: Jaaaaa, ein Hexxxxxxxpruchhhh! (kichert) Hihihihihi. Dieserrr Spruchhhhh wird deine errrrrste Lektionnnnn!

AUS DER FERNE SIND SCHRITTE ZU HÖREN, EINE STIMME RUFT. ES IST BARBARA BLOCKSBERG, DIE DIE KELLERTREPPE HERUNTER KOMMT:

BARBARA (suchend, laut): Boooooris!

BORIS: Oh nein, Mami kommt. Die wird mir sicher verbieten, von dir hexen zu lernen.

STIMME: Mamiii, Schmamiii… Achteeee nichhhht darauffff. (drängelnd) Kommmmm, liessss den Spruchhhhh vor. Dreiiiii Maaaaal vorlesennnnn. Unnnnnd richhhhhtig lautttt…

BARBARA (lauter): Booooris-Baby! Bist du hier unten?

BORIS: Mmmmmhhh… (liest ganz langsam vor, während er die fast unleserlichen Worte entziffert) „Eene meene mölle, du Ausgeburt der Hölle. Gefangen seit Äonen hier, zwischen alten Seiten und Papier…“ (zögert) Das klingt aber nicht…

STIMME (lakonisch): Alte Hexprüche klinjgen immer etwas dramatisch. Es waaarennn annndereee Zeitennnn damaaalsss, du verstehsssst…? (drängelnd) Weiter!

BORIS: Okay. Okay. „Nun reiß dich los, befreit und frei, der Geist von diesem Buche sei.“ Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER DÜSTERER UND BEDROHLICHER ALS NORMAL.

BORIS (staunt über die Wirkung): Wahnsinn, es klappt! Ich kann hexen!

STIMME: Nochhhhh einnnnmal! Lauuuuter!!!

BARBARAS STIMME IST NUN WIEDER ZU HÖREN, NÄHER ALS VORHER.

BARBARA: Booooris, mein Spätzchen! Jetzt sag doch was! Mami ist auch nicht mehr böse…

BORIS: Böse? Auf mich? Auf Bibi sollte sie böse sein. Aber Bibi ist ja auch ihr Lieblings… (unterbricht sich, wiederholt den Hexpruch, jetzt lauter, mit festerer Stimme) „Eene meene mölle, du Ausgeburt der Hölle. Gefangen seit Äonen hier, zwischen alten Seiten und Papier. Nun reiß dich los, befreit und frei, der Geist von diesem Buche sei.“ Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER DÜSTERER UND BEDROHLICHER ALS NORMAL.

BARBARA BLOCKSBERG STEHT NUN FAST IM KELLER, SO LAUT IST IHRE STIMME.

BARBARA: Booriiiiis… Boooooooooriiiiis…

STIMME (sehr drängelnd, aufgeregt): Noch einmal! LOS!!! LAUTER!!!!!

BORIS (laut, Barbaras Rufen übertönend): „Eene meene mölle, du Ausgeburt der Hölle. Gefangen seit Äonen hier, zwischen alten Seiten und Papier. Nun reiss dich los, befreit und frei, der Geist von deisem Buche sei. (richtig laut) HEX! HEX!!!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

DÜSTER, BEDROHLICH. DANN: EIN KNALL! DONNER! BLITZE ZUCKEN AUS DEM BUCH. UND DANN: BÖSARTIGES KICHERN.

BARBARA BLOCKSBERG STEHT JETZT IN DER TÜR UND SIEHT IHREN SOHN.

BARBARA: Boris? (realisiert, was passiert ist): OH NEIN! BOOOOOOORIIIIIIS!

ERZÄHLER: Ich kann gar nicht hinschauen. Aber einer muss euch ja erzählen, was hier vor sich geht. Also, da steht Barbara Blocksberg in der Kellertür und sieht gerade noch mit vor Schrecken aufgerissenem Mund, wir eine schwarze Rauchwolke aus dem alten Hexenbuch fährt… direkt in die Nase des wie zu Eis erstarrten Boris hinein.

BORIS (jetzt verschüchtert, ängstlich): Aber was soll denn…? (zu BARBARA) Mami? Was passiert mit mir…? (panisch rufend) Maaamiiiiiii…!!! (Stimme wird immer leiser und leiser)

ERZÄHLER: Ach, du große Güte! Boris‘ Augen funkeln ja plötzlich ganz feuerrot. Genauso wie die Augen aus der gruseligen Zeichnung im Hexenbuch. Und jetzt grinst er auch noch über beide Ohren. Aber nicht freundlich, nein, sondern richtig fies.

BORIS (spricht ab jetzt mit der STIMME des Buches): Du kommst zu spät, Hexe! Ich habe deinen Sohn ausgetrickst. Und du bist schuld! (kichert böse) Hihihihihi.

BARBARA (kampfeslustig, bestimmt): Das wollen wir mal sehen… Eene meene Dämon da, hinaus aus Boris Körper fahr. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH

ABER GEFOLGT VON EINEM DÖ-DÖÖÖ-LOSER-GAMESHOW-SOUNDEFFEKT (zum Anhören hier kicken).

BORIS LACHT GEMEIN.

BARBARA (etwas unsicherer): Dann eben diesen hier: Eene meene Teufelsbuch, ich hebe von dir diesen Fluch. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER GEFOLGT VON EINEM ANDEREN DÖ-DÖÖÖ-LOSER-GAMESHOW-SOUNDEFFEKT (zum Anhören hier kicken).

BORIS LACHT WEITER.

BARBARA (leicht verzweifelt): Eene meene… eene meene… (in ihren Gedanken nach einem neuen Spruch suchend) Eene meene eins, zwei drei, gib meinen Boris wieder frei! Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ABER GEFOLGT VON EINEM SAD-TROMBONE-SOUNDEFFEKT (zum Anhören hier kicken).

BORIS LACHT WEITER.

BARBARA (ruft): Hör sofort auf so zu lachen!!! (verliert die Beherrschung) Was hast du mit meinem Sohn gemacht? (kreischt) WO IST MEIN BORIS-BABY???

BORIS (kichert): Dein Sohn ist da, wo er sein möchte… Ich habe ihm seinen Wunsch erfüllt. Hihihihi… Dort, wo er seinen Körper nicht mehr braucht. (kichert) Da ist es doch nur fair, dass ich ihn mir borge… Und nieeemand wird…

STIMME BRICHT PLÖTZLICH AB. DUMPFES GERÄUSCH. 

ERZÄHLER: Na, so kann man einen Geist wohl auch zum Schweigen bringen. Zumindest, wenn er in einem menschlichen Körper steckt. Da hat Barbara Blocksberg in ihrer Wut doch tatsächlich zu Bernhards alter Schaufel gegriffen. Weiha, weiha, weiha, das wird eine gehörige Beule geben…

BARBARA BLOCKSBERG LÄUFT ZU IHREM – NUN BEWUSSTLOSEN – SOHN UND NIMMT IHN LIEBEVOLL IN IHRE ARME.

BARBARA (schluchzt): Mein Schätzchen, mein Boris-Baby… Was machen wir denn jetzt mit dir? (schluchzt weiter)

KEINE MUSIK. STILLE.

ENDE SZENE 20

SZENE 21: BAD BANNHEIM – HEXENKLINIK 

IM AUFENTHALTSRAUM DER HEXENKLINIK BAD BANNHEIM, ABTEILUNG FÜR MITTELSCHWERE BESESSENHEITSFÄLLE. OBERHEXENÄRZTIN DR. DR. SALEMA SPELLMAN VON BRINKMANNSTEIN BERÄT BARBARA UND BERNHARD BLOCKSBERG.

OBERHEXENÄRZTIN: Der Fall ist eindeutig. Akute Dämonitis.

BERNHARD: Akute… Was bitte? Barbara, was erzählt diese Frau da für einen Unsinn?

BARBARA: ‚Diese Frau‘ ist eine Koryphäe auf dem Bereich der unerklärlichen Übernahmephämomene. Deswegen sind wir doch hier, Bernhard! (zitiert die Werbung) „Bad Bannheim – Ihre Klinik für hexbezogene Krankheiten, Hexunfälle und Besessenheitsafälle aller Art. Mit einem Hex ist alles weg!“

BERNHARD (überspielt seine Sorge mit Rauheit): Eine Hexenklinik! Pah! In ein vernünftiges Krankenhaus gehört unser Junge. Oder zu einem guten Psychiater. Das war ja nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert! Ich habe es ja immer gesagt: Diese ganze Hexerei im Haus macht verrückt. (Pause) Ich dachte nur, dass es mich als ersten erwischt…

BARBARA (verzweifelt): Ich wäre ja zu einem normalen Doktor gegangen, Bernhard! Aber ’normale‘ Doktoren können uns nicht helfen. Unser Sohn hat sich von einem Buchdämonen austricksen lassen…

BERNHARD (bestimmt, leicht vorwurfsvoll): Und der steckte ganz offenbar in einem deiner Hexenbücher! Barbara, wie konntest du nur!

BARBARA (versucht zu erklären): Aber das habe ich doch nicht gewusst! Die Bücher im Keller kommen fast alle von Ururgroßmutter Barzamanda! Ich habe sie vor ein paar Jahren geerbt, aber… Aber  ich bin einfach nicht zum Aussortieren gekommen! Und dann habe ich sie einfach in den Keller… (schluchzt) Ach, Bernhard!

BERNHARD: Ist ja schon gut! Ist ja schon gut! Was geschehen ist, ist geschehen. Aber was können wir jetzt…?

OBERHEXENÄRZTIN (unterbricht BERNHARD): Also, da machen Sie sich mal keine großen Gedanken. Unsere Klinik ist spezialisiert auf Besessenheitsfälle aller Art. Hier arbeiten nur die rennomiertesten Austreibungshexen…

PLÖTZLICH LAUTES KRACHEN AUF DEM FLUR. ETWAS HUSCHT AN DER TÜR DES AUFENTHALTSRAUMS VORBEI. EINE POLTERNDE STIMME MIT ECHOHALL ERSCHALLT: ZUUUUUUUUUL… DREI HEXEN IN WEISS BRAUSEN AUF IHREN BESEN HINTERHER.

BERNHARD: Und was war das?

OBERHEXENÄRZTIN (kurz aus dem Konzept gebracht): Ähh, gar nichts, gar nichts. Einer unserer ähhh… schwerwiegenderen Fälle. Aber ihr Sohn ist dagegen… verzeihen Sie den Ausdruck… ein Kinkerlitzchen.

BARBARA: Ein KINKERLITZCHEN? (aufbrausend) Aber nun hören Sie mal…!

BERNHARD: Jetzt beruhige dich doch, Barbara. Sie meint doch, dass Boris schnell wieder geheilt werden kann. (Pause) Das meinen Sie doch, oder?

OBERHEXENÄRZTIN: Exakt. Buchdämonen plustern sich immer gerne auf mit viel Rauch und Schlangenstimme und flammenden Augen und so… Und am Ende reicht ein ganz unhexerischer Schaufelschlag aus, um… Haben Sie ja gesehen. 

BARBARA: Mein armes Boris-Baby! Ich wollte ihm doch nicht wehtun.

OBERHEXENÄRZTIN: Sie haben genau richtig gehandelt, Frau Blocksberg. Die erste Regel bei Besessenheitsfällen …

BARBARA: ich weiß, ich weiß. (zitiert) „KO ist OK.“

OBERHEXENÄRZTIN (sehr selbstsicher): Also lassen Sie uns mal machen… In spätestens drei Monaten haben Sie Ihren Sohn wieder quicklebendig und ohne blinden Passagier im Oberstübchen zuhause. Das schwöre ich auf alle meine Hexendoktortitel. So wahr ich Salema Spellman von Brinkmannstein heiße!

BERNHARD (kommt eine Idee): Können Sie unserem Sohn vielleicht auch seinen Heißhunger weghexen?

BARBARA (empört): BERNHARD!

BERNHARD: Ich mein ja nur. Wenn es hier schon nicht mit rechten Dingen zugehen muss, dann könnten wir ja auch… (überlegt) Und was uns das an Haushaltsgeld sparen würde…

BARBARA: Auf GAR KEINEN Fall. Wenn mein Boris-Mäuschen wieder zuhause ist, dann darf er so viel essen, wie er will!

OBERHEXENÄRZTIN (unterbricht BARBARA): Was ich noch vergessen habe: Sie dürfen (betont) AUF KEINEN FALL (betont mehr) ICH WIEDERHOLE AUF GAR KEINEN FALL Kontakt mit Ihrem Sohn aufnehmen, bis der Austreibungsprozess vollständig beendet ist. Diese Art von Buchdämon versucht nämlich alles, um seinem Umfeld weißzumachen, dass er schon wieder verschwunden ist. Und weil sich dieser Fiesling ja im Kopf Ihres Jungen breit gemacht hat und alle seine Gedanken kennt, weiß er ganz genau, welche Knöpfe bei Ihnen zu drücken sind. Eine völlige Kontaktsperre ist daher obligatorisch für die Zeit der Austreibung.

BARBARA (ungläubig): Ich darf mein Boris-Baby noch nicht einmal anrufen?

OBERHEXENÄRZTIN (bestimmt): Auf gar keinen Fall!

BARBARA (ungläubig): Ihm einem Brief schicken?

OBERHEXENÄRZTIN (bestimmt): Nicht mal eine Postkarte!

BARBARA: Und ihm auch keine Portion meiner leckeren Schwefelsuppe schicken?

BERNHARD (stöhnt): Bloß nicht! (sie etwas aufziehend) Dann, liebste Barbara, wird unser Sohn sicher nie zurückwollen.

BARBARA: Und wenn ich ihm Pommfritz hexe? Und Currywurst? Die mag er soch so gern…

OBERHEXENÄRZTIN: Bedauere! Absolute Kontaktsperre heißt absolute Kontaktsperre. (beruhigend, aber auch abwimmelnd) Machen Sie sich keine Sorgen! Seitdem wir diese Klinik betreiben, ist noch jeder Patient von uns geheilt worden. Und kein einziger hat jemals den Bannspruch durchbrochen, der verhindert, dass die paar Strandurlauber, die es hier hin verschlägt, merken, dass in der Kurhotelruine eine florierende Hexenklinik untergebracht ist…

BERNHARD: In drei Monaten ist der Spuk also vorbei?

OBERHEXENÄRZTIN (latent genervt): Ja-haa. Ihr Fall ist absoluter Standard…

BARBARA (nicht ganz überzeugt): „Absoluter Standard“… Mhhh… Es kann also rein gar nichts passieren?

OBERÄRZTIN SCHÜTTELT BERNHARD UND BARBARA DIE HAND UND GEHT. 

OBERHEXENÄRZTIN (rufend, während sie die Tür hinter sich schließt): Vertrauen Sie mir! Rein gar nichts!

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 21

SZENE 22: HEXENKLINIK – 3 MONATE SPÄTER

IM AUFENTHALTSRAUM DER HEXENKLINIK BAD BANNHEIM, ABTEILUNG FÜR MITTELSCHWERE BESESSENHEITSFÄLLE. ANWESEND: OBERHEXENÄRZTIN DR. DR. SALEMA SPELLMAN VON BRINKMANNSTEIN, BARBARA BLOCKSBERG UND BERNHARD BLOCKSBERG.

BARBARA BLOCKSBERG (aufgebracht): Mein Sohn ist… verschwunden?

OBERHEXENÄRZTIN (um Worte ringend): Ja, also, … Ähhhh,… Ich beteure, wir können uns auch nicht erklären, wie… 

BERNHARD: Ich wusste es doch gleich. Alles Scharlertane hier… Besessenheitszauber! (schnäubt verächtlich) Dass ich nicht lache!

OBERHEXENÄRZTIN (beschwichtigend): Nein, nein. Unsere Austreibung war hundertprozentig wirksam. Aber dann… Nach Ende unserer dreimonatigen Kur hat sich ihr Sohn einfach in Luft aufgelöst! (macht mit ihren Händen eine entsprechende Bewegung) ‚Puff!‘

BARBARA (in Rage): Puff??? (brüllt) PUFF??? Jetzt halten Sie mal die Luft an! Mein Sohn verschwindet mir nichts, dir nichts in (betont) IHRER Obhut (noch lauter) UND SIE KOMMEN MIR MIT ‚PUFF‘???

OBERHEXENÄRZTIN: Aber wenn ich es Ihnen doch sage… Es ist mir unerklärlich… So etwas ist in unserer langjährigen Klinikgeschichte noch nie… Ihr Sohn war geheilt… (stutzt, überlegt) Es sei denn…?

BERNHARD (verärgert): Es sei denn WAS? Jetzt sprechen Sie doch hier nicht in Rätseln!

OBERHEXENÄRZTIN: Ja, ähem… Also… Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist… dass Ihr Sohn gar nicht zurückkommen wollte…

BARBARA (empört): Nicht zurück kommen wollte? (Pause) Also, ich bitte Sie! Sie haben ja wohl den Schuss nicht mehr gehört! Warum sollte (betont) MEIN Sohn nicht mehr zu (betont) MIR zurückwollen … Er hat doch immer genug zu essen bei uns bekommen! Wir… (ihr bricht die Stimme) wir sind doch keine schlechten Eltern! (zu BERNHARD) Bernhard, jetzt sag doch auch mal was!

BERNHARD (kaum beherrscht): Barbara… Ich sage nichts, weil ich mich sonst vergesse… und ich weiß nicht, was ich dann mit dieser (zur Oberhexenärztin gewandt)… dieser (verächtlich) ‚Hexe‘ anstellen werde.

OBERHEXENÄRZTIN: Herr Blocksberg! Frau Blocksberg! Nun beherrschen Sie sich doch! Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um Ihren Sohn zurückzubekommen… Aber wenn er wirklich nicht zurück will… dann steht es einfach nicht in unserer Macht…

BERNHARD: Und was ist mit den Postkarten? Die uns unser Sohn geschrieben hat? Der Junge, der Ihrer (verächtlich) ‚professionellen‘ Meinung nach gar nicht zu uns zurück will…

BARBARA (schluchzt): „Ich vermisse euch“ hat er geschrieben! (schluchzt lauter, zieht Rotz hoch) „ICH VERMISSE EUCH!“

OBERHEXENÄRZTIN (schuldbewusst): Ach, die Postkarten… Wir wissen auch nicht wie (betont) DAS passieren konnte… Wir versprechen eine vollständige Untersuchung. So weit wir wissen, hat der Buchdämone unseren neuen Austreibungspraktikanten ausgetrickst… Und der hat dann die Karten eingeworfen. Aber das war natürlich nicht wirklich Ihr Sohn, der da geschrieben hat. Das war der Dämon, der Ihnen weißmachen wollte, dass…

BARBARA (unterbricht OBERHEXENÄRZTIN): Es klang aber SEHR nach unserem Sohn.

OBERHEXENÄRZTIN: Aber glauben Sie mir doch… Ich weiß, es ist schwer zu verdauen! Aber offenbar WILL Ihr Sohn nicht von dort zurück, wo er sich gerade befindet. Es ist die einzige Möglichkeit, warum unsere Hexensprüche nicht wirken. Und da können wir dann auch nichts machen. Ihr Sohn kommt erst dann wirklich nach Hause, wenn er von ganzem Herzen will. Früher nicht.

BARBARA: Und wann ist das? Und wo ist er überhaupt?

OBERHEXENÄRZTIN (versucht, ihre latente Genervtheit nicht zu zeigen): Wir wissen es nicht. Sie müssen sich gedulden.

BARBARA (wütend): Gedulden? Bei Ihnen piepts wohl im Oberstübchen! (drohend) Nun hören Sie mir mal zu. Ich werde sie Quacksalber vor der Hexenethikkommission verklagen. Und die Presse werde ich einschalten! Jawohl! Und dann können Sie diesen Saftladen…

OBERHEXENÄRZTIN (empört): Also ich muss doch sehr bitten!

BARBARA (wütend, unbeirrt): Dann können Sie diesen Saftladen hier dicht machen. Erst MEINEN Sohn verlieren! Und mir dann sagen, dass mein Boris-Schätzchen nicht zu mir zurück will. Ich glaube, es hackt!

BERNHARD (versucht, seine Frau zu beruhigen): Aber Barbara…

BARBARA (unterbricht ihren Mann, entschlossen): Nichts ‚aber Barbara!‘ Komm, Bernhard! Wir gehen! Und wir… (wedelt mit Ihrem Zeigefinger drohend vor dem Gesicht der OBERHEXENÄRZTIN herum) …wir sehen uns vor dem Hexengericht!

TÜR KNALLT ZU.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 22

SZENE 23: BAD BANNHEIM – SALON

TYPISCHES HARFEN-RÜCKBLENDEN-GERÄUSCH. WIR BEFINDEN UNS WIEDER IN DER GEGENWART IN BAD BANNHEIM IM HIER UND JETZT. BIBI BLICKT VOM FERNSEHER HOCH UND SPRICHT BORIS AN. 

BIBI (verwirrt, aber mitfühlend): Also, also… so langsam glaube ich echt, dass an deiner Geschichte etwas dran sein muss. Das mit der Banane klingt wirklich ein (betont) klitzekleines bisschen nach mir. (kann sich ein kurzes Kichern nicht verkneifen)

BORIS (mit zusammengekniffenen Zähnen): Das. Ist. Nicht. Lustig. 

BIBI (ehrlich entschuldigend): Tut mir leid. (schon wieder etwas frecher) Aber du musst schon zugeben: Die Vorstellung, dass du mitten in der Obstschale…

BORIS WIRFT BIBI EINEN BÖSEN BLICK ZU. BIBI WECHSELT DARAUFHIN DAS THEMA.

BIBI: …Ist ja schon gut! (Pause) Aber ich erinnere mich wirklich nicht an dich. Kein Stück. Und das kann eigentlich nur eins heißen. 

ERZÄHLER: Ja, was kann das wohl heißen? Was meint Bibi da wohl? Und was meint ihr? (Kurze Pause) Also, ich habe ja schon eine ziemlich gute Vermutung, wohin diese Sache führen wird…

BORIS: Ja. Darauf bin ich auch schon gekommen. Ein Hexspruch. Es bleibt keine andere Möglichkeit. Mami muss die Erinnerung an mich weggehext haben. Und das nicht nur bei uns, bei allen! Bei Oma Grete! Bei Karla Kolumna! Sogar bei dem blöden Bürgermeister! (Pause… traurig, mit brüchiger Stimme) Mami hat mich einfach vergessen wollen… (schnieft)

BIBI: Aber… aber warum sollte Mami das getan haben? (kurze Pause der Ratlosigkeit, dann fällt Bibi plötzlich etwas ein) Und außerdem: Wenn diese Ärztetrulla da die Wahrheit gesagt hat, dann ist das alles (betont) DEINE Schuld. DU hast unbedingt hexen lernen wollen. DU hast dich von einem dämlichen Dämon austricksen lassen! Und DU hättest jederzeit zurückkommen können. Wolltest du aber nicht. Weil DU die beleidigte Leberwurst spielen musstest! (Pause) Wo… wo warst du überhaupt…?

BORIS (wieder mit etwas festerer Stimme): Ach… Schau einfach auf den Fernseher! Da…

BIBI: Aber… das ist ja wieder unsere Wohnung… Du liegst im Bett… Aber,… aber wieso steht denn Kartoffelbrei da an den Schrank gelehnt?

BORIS: Das ist nicht Kartoffelbrei… (zischt) Psssst jetzt! Hör zu! Und schau ganz genau hin…

TYPISCHES HARFEN-RÜCKBLENDEN-GERÄUSCH.

ENDE SZENE 23

SZENE 24: IN BORIS‘ ZIMMER

ES IST FRÜHER MORGEN. DIE ERSTEN SONNENSTRAHLEN FALLEN IN BORIS BLOCKSBERGS ZIMMER. BORIS LIEGT IN SEINEM BETT UND TRÄUMT UNRUHIG. ERINNERUNGSFETZEN ÜBERLAPPEN SICH. WÄHREND DIE STIMMEN NUR IN SEIMEM KOPF SPRECHEN, ANTWORTET BORIS IN DER REALEN WELT, IST ABER NOCH NICHT WACH.

BORIS (sich hin und her wälzend, murmelnd): Nein… Nein…

GERÄUSCH EINER ZURÜCKSPULENDEN KASSETTE. (hier anhören)

ECHO VON BORIS‘ STIMME (im Traum, flüsternd, beschwörerisch): Eene meene mölle!

BORIS (sich hin und her wälzend, murmelnd): Nicht! Geh weg! (lauter) GEH WEG!

BARBARA (im Traum, schreit besorgt): BOOOOOOOOORIIIIIIIS!

BUCHDÄMON (im Traum, zischend-einflüsternd): Aberrrr du willllllst doch hexennnnn lernennn… (lacht verrückt) Hihihihihiihiiiii…

ECHO VON BORIS‘ STIMME (im Traum, flüsternd, beschwörerisch): Du Ausgeburt der Hölle!

BORIS (sich hin und her wälzend, murmelnd): Lügner… Lügner… Du bist gar nicht mein…

BUCHDÄMON (im Traum, unterbricht BORIS): Aberrrrr, aberrrrr… (BARBARA nachäffend) ‚Mein Boris-Baby’… Ich halte mein Versprechen…

ALTES ANALOG-FERNSEHER-STÖRGERÄUSCH. RAUSCHEN. FIEPEN.

STIMME EINES DOKUMENTARFILMSPRECHERS (im Traum): In äußerst seltenen Ausnahmefällen ist es bereits vorgekommen, dass männliche Hexen…

ALTES ANALOG-FERNSEHER-ABSCHALTGERÄUSCH. RAUSCHEN. FIEPEN.

BORIS (aber mit der Stimme von Pinocchio aus dem Disney-Film, im Traum): Ich möchte ein richtiger Hexer sein!

ECHO VON BORIS‘ STIMME (im Traum, flüsternd, beschwörerisch): Gefangen seit Äonen hier, zwischen alten Seiten und Papier…

BORIS (aber mit der Stimme von Alice aus dem Disney-Film, im Traum): Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?

ECHO VON BORIS‘ STIMME (im Traum, flüsternd, beschwörerisch): Nun reiß dich los, befreit und frei…

BUCHDÄMON (aber mit der Stimme der Grinsekatze aus dem Disney-Film, im Traum): Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest. (dreckige Lache)

ECHO VON BORIS‘ STIMME (im Traum, flüsternd, beschwörerisch): Der Geist von diesem Buche sei…

BORIS, BARBARA, DER DOKUMENTARFILMSPRECHER, DER BUCHDÄMON, DIE GRINSEKATZE, ALICE UND PINOCCHIO (gemeinsam): HEX! HEX!

DREIFACHES PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

HALL. ECHO. RAUSCHEN UND FIEPEN EINES FERNSEHGERÄTS. (hier anhören) FIESES KICHERN. BÖSES LACHEN. ALLES DURCHEINANDER. IMMER LAUTER. LAUTER UND LAUTER. GERÄUSCH EINER ZURÜCKSPULENDEN KASSETTE (hier anhören) BIS PLÖTZLICH DAS SCHEPPERNDE GRÄUSCH DER STOPP-TASTE EINES KASETTENREKORDERS (hier anhören) ERTÖNT: KLACK.

BORIS SCHRECKT SCHWEISSGEBADET AUS SEINEM BETT HOCH. GÄHNT, RECKT SICH.

BORIS: Uuuuuaahhhhh! (gähnt noch einmal) Oh Mann! Was war denn das bloß für ein bescheuerter Alptraum!? (Pause) Sprechende Bücher! Dämonen! Beschwörungszauber! Und Grinsekatzen! (Pause) Ich glaube, Mamis Ochsenschwanzsuppe gestern war schlecht…

DIE TÜR ZU BORIS‘ ZIMMER WIRD AUFGESCHLAGEN. IM TÜRRAHMEN STEHT BERNHARD BLOCKSBERG. EIN SEHR WÜTENDER BERNHARD BLOCKSBERG.

BERNHARD (ruft laut erbost): BORIS BALTHASAR BLOCKSBERG! Jetzt hast du den Bogen wirklich überspannt! 

BORIS (noch etwas schlaftrunken, perplex): Aber, Papi, was ist denn…?

BERNHARD (poltert): DAS WEISST DU GANZ GENAU!

BIBI QUETSCHT SICH AN BERNHARD VORBEI IN BORIS ZIMMER, SIE SCHNIEFT, IST ABER EBENSO WÜTEND.

BIBI: Ja! Das weißt du ganz genau, du Riesenratte, du! (Pause, dann jammernd) Meine Haare! Meine schönen Haare!!!

BORIS (kichert): Hihihi, Schwesterherz, die sind ja ganz blau! Und dein Gesicht ist ganz rot! Hast du etwa den falschen Zauberspruch erwischt? 

BIBI: Den falschen… was? 

BORIS: Dann eben Hexspruch. Wie du willst! (etwas leiser zu sich) Geschieht dir ganz recht!

BERNHARD (poltert): Wem hier etwas zu geschehen hat, das bestimme immer noch ICH! (Pause) Boris Blocksberg, du hext deiner Schwester jetzt (betont) SOFORT ihre alte Haarfarbe zurück, sonst setzt es was!

BORIS (verwirrt): Aber Papi, warum macht Bibi das denn nicht selbst? Oder Mami?

BERNHARD: Was redest du da für einen Unsinn, Junge? Wieso sollten Bibi und deine Mutter denn plötzlich hexen können? (Pause) Frauen können nicht hexen, nur Männer! Das weiß doch wirklich jedes Kind… 

BORIS IST SPRACHLOS.

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 24

SZENE 25: BULETTEN ZUM FRÜHSTÜCK

ERZÄHLER: Na, hat es euch genauso die Sprache verschlagen wie Boris? In dieser Geschichte geht es aber auch wirklich drunter und drüber! Erst haben alle Bibis kleinen Bruder vergessen, dann ist er plötzlich wieder da – und nun soll er auch noch hexen können! Das ist schon alles sehr merkwürdig. Sehr, sehr merkwürdig.

BERNHARD (entschlossen): So, Boris! Jetzt steh hier nicht so rum wie bestellt und nicht abgeholt, sondern komm endlich in die Küche. Mami hat Frühstück gemacht. Aber bevor wir mit dem Essen anfangen, hext du Bibis Haare wieder normal.

Boris (noch immer sprachlos): Ich…

Bibi (feixend): Mach mal deinen Mund zu, sonst fliegt noch ein Flugzeug rein! 

BERNHARD (stöhnt): Oder hast du etwa (betont) schon wieder den richtigen Hexspruch vergessen?

BORIS (stammelt): Ich .. ähhhh… weiß nicht..

BERNHARD (stöhnt mehr): Ich fasse es nicht! Wie soll denn aus dir mal ein richtiger Hexer werden, wenn du schon… Ach, wenn enn dein Gedächtnis doch bloß so groß wäre wie dein Hunger! (Pause, resigniert) Also… Sprich mir nach: Eene meene mare, normal sein Bibis Haare.

BORIS (zögerlich): Eene meene Mare, … normal sein… Bibis Haare. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

BORIS (perplex): Es… es hat geklappt!!!

BERNHARD: Ja, natürlich hat es geklappt! Schließlich bist du ein Blocksberg! Und alle Männer unserer Familie waren große Hexer. Und das hier… war nun wirklich ein Hexspruch für den Hexerkindergarten!

BIBI: Haste gehört, Bruderherz? In den Kindergarten gehörste! (kichert) Hihi.

BERNHARD: Bibi! Boris! ihr hört jetzt sofort of zu streiten und setzt euch. Eure Mutter hat leckere Buletten gemacht

BIBI (angeekelt): Bulettten zum Frühstück. (würgt künstlich und hustet) Buuuääärks!

BERNHARD: In meinem Haus gibt es Buletten, wann ich will!

BIBI HUSTET WEITER. JETZT IN ECHT.

BARBARA (besorgt): Mein armes Bibilein! Schon wieder dieser schreckliche Husten! Ich wusste es, dir bekommt die Stadtluft nicht! Ach, Bernhard, vielleicht sollten wir Bibi eine Weile zu deinen Großeltern schicken? Das Klima an der Nordsee ist so viel gesunder als hier in Neustadt!

BIBI (quengelt): Ich will aber nicht an die Nordsee. Ich will auf den Reiterhof! Mit Tina! Sabrina vermisst mich sicher schon!

BERNHARD: Bibi, wenn es nach dir ginge, würden wir auf dem Martinshof wohnen!

BIBI (begeistert): Au ja! DAS wäre toll.

BERNHARD: Nichts da! Wir haben hier eine Wohnung, die genau richtig für uns ist. Außerdem ist der Martinshof viel zu weit weg von meiner Arbeit. Von hier aus kann ich morgens ganz bequem mit dem Bus zur Arbeit…

BIBI (unterbricht BERNHARD): Warum fliegst du eigentlich nicht auf Schweineschnitzel zur Arbeit? Das geht doch viel schneller!

BERNHARD: Weil nicht alle Welt wissen muss, dass in diesem Hause Hexer wohnen! Du weißt doch noch, was beim letzten Mal passiert ist, als Boris den Bürgermeister gesund gehext hat. Dann stehen sie wieder alle vor unserer Tür und…

BIBI (unterbricht BERNHARD): Für den Bürgermeister hext du auch manchmal Dinge!

BERNHARD (räuspert sich, ertappt): Ähem,… also,… Das ist etwas… Aber er ist ja auch der Bürgermeister! Und damit mein Vorgesetzter als Beamter! Und meinem Vorgesetzten gegenüber bin ich selbstverständlich weisungsgebunden… Auch als Hexer!V Und… und schließlich dient es nur dem Bürgerwohl.

BARBARA (zieht ihren Mann auf): Es diente also dem ‚Bürgerwohl‘, als du das Rathaus in ein achtstöckiges Märchenschloss mit zwölf Badezimmern gehext hast…?

BERNHARD: Ähh…

BARBARA (zieht ihren Mann weiter auf): Und als du das Gesicht vom Bürgermeister auf den Zehn-Mark-Schein gehext hast…?

BERNHARD: Er wollte auf den Hunderter! Das könnte ich ihm gerade noch ausreden.

BIBI (steigt mit ein): Und er hat dich überredet, dem neugeborenen Elefantenbaby aus dem Zoo das Sprechen beizubringen!

BERNHARD (sich erklärend): Der Bürgermeister wollte eine Attraktion für unser schönes Neustadt schaffen! Und damit den Tourismus ankurbeln! Und Arbeitsplätze schaffen! Es konnte doch keiner ahnen…

BIBI: Ja, und dann hat der Elefant einfach so getan, als könnte er gar nicht sprechen und hat alle Reporter und Touris nassgespritzt mit seinem Rüssel! (kichert) Hihihi!

BERNHARD (schnaubt): Ja, DAS war eine Bescherung…

BARBARA (besorgt): Boris, mein Junge, was ist denn los mit dir? Du bist ja ganz bleich im Gesicht! Und deine Buletten hast du auch erst halb… (zu BERNHARD, streng) Bernhard, ich habe es dir 1000 Mal gesagt! Drei Mal Buletten am Tag ist kein ausgewogenes Essen!

BERNHARD: Willst du mir etwa schon wieder diese Rohkost andrehen, Barbara? Du weißt doch, was dann passiert!

BARBARA (resigniert): Dann hext du dir die Gurken und den Salat wieder zu Schweineschnitzeln um. (stöhnt) Ach! Ich finde es wirklich nicht gut, wenn du Essen hext!

BERNHARD: Also, (betont) ICH mag meine Buletten auch lieber von dir gebraten! Aber in der Not…

BARBARA (empört): Salat ist keine Not!

BERNHARD (unbeirrt): In der Not hext sich dein werter Ehemann eben seine Buletten herbei! Punkt. Und mein Sohn sieht das ganz ähnlich! Nicht wahr, Boris…?

BARBARA (die Hände über dem Kopf zusammenschlagend): Am Ende seid ihr beide kugelrund! 

BERNHARD: Und dann, wertes Eheweib, hexe ich mich eben wieder schlank!

BIBI (kichert): Hihi. So wie damals, als Boris sich muskulöser hexen wollte und plötzlich ausgesehen hat wie ein Kleiderschrank? (zu BORIS) Weißte noch, Brüderchen?

BARBARA: Boris, jetzt sag doch endlich was… Bernhard, der Junge spricht nicht mehr!

BORIS: Mami, ich glaube, mir ist wirklich nicht so gut. Ich lege mich besser noch mal hin.

BARBARA: Mach das, mein Schatz! Die Schule kann heute warten… Oder… (kommt eine Idee) Bernhard, kannst du unseren Sohn nicht gesundhexen?

BERNHARD: Barbara, du weißt doch, wie ich zum Gesundhexen stehe…

BORIS (abwehrend): Alles gut, Mami. Alles gut… Ich glaube, ein bisschen Ruhe reicht schon… (steht auf und geht in sein Zimmer) Ich muss mich einfach etwas ausruhen… (leise zu sich selbst, unhörbar für den Rest) …und nachdenken. Wo bin ich hier nur gelandet?

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 25

SZENE 26: SAME SAME BUT DIFFERENT

TYPISCHES HARFEN-RÜCKBLENDEN-GERÄUSCH. WIR BEFINDEN UNS WIEDER MIT BIBI UND BORIS IN BAD BANNHEIM IM HIER UND JETZT.

BIBI (blickt auf, fragend): Papi soll ein Hexer sein? Und Mami macht ihm freiwillig Buletten? (betont ungläubig) UND DANN AUCH NOCH ZUM FRÜHSTÜCK?

BORIS: Der Fernseher lügt nicht.

BIBI (altklug): Also (betont) MIR hat man ja beigebracht, nicht immer alles zu glauben, was so im Fernsehen läuft.

BORIS: Ich hab es ja auch nicht geglaubt… Am Anfang… (Pause) Glaub mir, ich hab ganz blaue Arme gekriegt, so oft hab ich mich gezwickt. (Pause) Aber am nächsten Tag konnten Papi und ich immer noch hexen. Und am übernächsten auch…

BIBI (überlegt): Mmmhh… Dann hat der Buchdämon ja wirklich deinen Wunsch erfüllt!

BORIS: Ja… Aber ganz anders, als ich wollte. Ich dachte, er würde mir Hexen beibringen…

BIBI: …und dann hat er dich irgendwie in eine andere Welt gehext, in der alles fast so ist wie hier. Weil er den Platz in deinem Körper brauchte…

BORIS: Ja. Nur dass dort die Männer hexen konnten und nicht die Frauen.

BIBI: Brrrrrr… was für einer schauderliche Vorstellung! (kichert) Da muss doch alles drunter und drüber gegangen sein. 

BORIS: So ein Quark! Es war fast genauso wie bei uns! Es gab ja nur ganz wenige Hexerfamilien. Und die meisten haben auch nur heimlich gehext… Nur die Besen…

BIBI: Die Besen?

BORIS: Ja, die Besen waren anders. Die meisten waren nicht aus Holz, sondern aus Metall und silber verchromt. Und laut waren die!

BIBI: Laut? Wieso soll ein Besen denn bitteschön laut sein? (stolz) Also, mein Kartoffelbrei surrt leise wie ein Kätzchen!

BORIS (ein bisschen bewundernd): Richtig gedonnert hat es, wenn so ein Besen durch die Luft gedüst ist. Wie bei einem Gewitter.

BIBI (abfällig): Jungs…! (Pause, denkt nach) Aber… das muss dir doch ungeheuren Spaß gemacht haben…

BORIS: Das hat es auch! Ich wollte auch gar nicht mehr zurück. Diese neue Welt war ja viel besser. Endlich konnte ICH hexen – und nicht DU! 

BIBI: Ach, die arme andere Bibi! Die hat’s sicher nicht leicht gehabt mit dir…

BORIS (erinnert sich): Also, beschwert hat sie sich nicht. (kichert) Aber eine Banane kann sich ja auch nicht so gut beschweren. 

BIBI (streckt BORIS die Zunge raus): Bläääääähhhhhh, du Doofi!

BORIS (ignoriert BIBI, in Erinnerungen schwelgend): Und die ganzen Abenteuer, die Otto und ich erlebt haben…

BIBI: Otto?

BORIS: Mein bester Freund. Ich hab mit ihm das Rätsel um die Schwarzen Vier auf unserem Schulhof gelöst. Und dann sind wir zusammen nach Transilvanien gereist… und waren beim großen Hexertreffen auf dem Hexerberg!

BIBI: Das kommt mir irgendwie bekannt vor. (Pause) Sag mal, warste auch auf dem Martinshof?

BORIS: Was ist denn das?

BIBI (begeistert): Na, ein Reiterhof! Mit richtig tollen Pferden! Und Frau Martin ist…

BORIS: Pferde? Was soll ich denn mit (betont abfällig) PFERDEN? 

BIBI: Vergiss es. Aber… sag mal… Wieso biste denn überhaupt zurückgekommen? Dein Leben in diesem anderen Neustadt… Das klingt doch, als wär dein größter Traum in Erfüllung gegangen.

BORIS: Ist er ja auch. Und ich wollte ja auch gar nicht zurück… Zumindest nicht am Anfang… Aber dann…

BIBI: Aber dann…?

BORIS (druckst herum): Aber dann… (Pause, atmet tief aus) hab ich dich vermisst.

BIBI (ungläubig, spöttisch): DU hast MICH vermisst?

BORIS: Und Mami und Papi… Also, meine (betont) ECHTE Mami und meinen (betont) ECHTEN Papi…

BIBI: Aber du hattest doch eine (spöttisch) ‚viel bessere‘ Schwester. Eine ohne Hexkräfte! Und fliegen konntest du auch! Ich hab doch einen Besen in deinem Zimmer gesehen!

BORIS: Ja, Pommfritz.

BIBI (ungläubig-spöttisch): ‚Pommfritz‘? (kichert)

BORIS (sich verteidigend): Sagt die, die ihren Besen ‚Kartoffelbrei‘ nennt. Und ‚Pommfritz‘ sind viel, viel leckerer als diese ekelige Matschepampe. (Pause, überlegt) Aber trotzdem… Diese andere Famile Blocksberg… Die waren zwar wie ihr… Aber eben nur fast… Und … und.. und ich hab euch einfach vermisst…

BIBI (selbstbewusst): Ich bin ja auch einzigartig toll. Da kann so eine Bibi-Kopie nicht mithalten. (Pause, überlegt) Aber.. wie bist du denn dann wieder hierhin zurück gekommen?

BORIS: Soooo schwer war das gar nicht… Mal sehen, ob ich die Geschichte etwas vorspulen kann… Sprich mir mal nach: ‚Eene meene miste, du alte Fernsehkiste. Eene meene mück, zeig uns wie Boris kam zurück.‘

BIBI: Na gut… ‚Eene meene miste, du alte Fernsehkiste. Eene meene mück, zeig uns wie Boris kam zurück.‘ Hex Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

TYPISCHES HARFEN-RÜCKBLENDEN-GERÄUSCH.

ENDE SZENE 26

SZENE 27: RÜCKKEHR INS UNGEWISSE 

BORIS BLOCKSBERG STEHT IM KELLER UND DURCHWÜHLT DAS REGAL MIT BERNHARD BLOCKSBERGS HEXENBÜCHERN.

BORIS (zu sich selbst): Wo ist es denn…?

BORIS ZIEHT EIN BUCH AUS DEM REGAL, SCHAUT KURZ AUF DEN EINBAND.

BORIS (liest Buchtitel): „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“… Nee…

BUCH LANDET MIT DUMPFEN GERÄUSCH ACHTLOS DAHINGEWORFEN AUF DEM BODEN. BORIS ZIEHT EIN NEUES BUCH AUS DEM REGAL, SCHAUT KURZ AUF DEN EINBAND.

BORIS (liest Buchtitel): „Esmeralda Wetterwachs‘ Kompendium der Kopfologie“… Auch nicht…

BUCH LANDET MIT DUMPFEN GERÄUSCH ACHTLOS DAHINGEWORFEN AUF DEM BODEN. BORIS ZIEHT EIN NEUES BUCH AUS DEM REGAL, SCHAUT KURZ AUF DEN EINBAND.

BORIS (liest Buchtitel): „Männer, die Drachen zu sehr lieben“ (schaudert) Brrrrr…

ERZÄHLER: Aber natürlich! In den Keller ist Boris gelaufen… Und was er dort sucht, habt ihr sicher schon längst erraten!

BORIS: Irgendwo hier muss es doch sein. Das zweite Regal von oben… Mhhh…

BORIS ZIEHT EIN NEUES BUCH AUS DEM REGAL, SCHAUT KURZ AUF DEN EINBAND.

BORIS: Ha! Ein Schloss auf dem Einband. Da ist es ja! Ich wusste es!

BORIS PUSTET DEN STAUB VOM EINBAND UND KLOPFT MIT SEINER FAUST MEHRFACH DARAUF.

BORIS: Halloooooo! Hallooooo, du Buchdämon! Loooos, sag was! (Pause) Du brauchst gar nicht so tun, als wärst du nicht da! Ich weiß, dass du hier drin steckst. 

BUCHDÄMON (gähnt, zischend): Uuuuuaaaahhhhh! Welcherrrrrr Waaaahnnnwitzzzzige weckt michhhhh hiiiiier zu so unhexxxxxxerischerrrrrr Zeittttt? 

BORIS (bestimmt): Ich bin’s! Boris Blocksberg! Und du bringst mich jetzt (betont) SOFORT wieder zurück!

BUCHDÄMON (gähnt, zischend): Komischhhhhhh… Deine Stimmmmmme kommmmmmt mmmmmir bekannnnnt vor.. Borisssssssss…?

BORIS: Jetzt tu bloß nicht so unschuldig! Natürlich kennst du mich! Wegen dir bin ich hier gelandet! Du hast mich ausgetrickst, du dummes…

BUCHDÄMON (fällt ihm ins Wort, zischend): Nananana… ganzzzzz soooo issst es nicht… Nichhhhht ichhhhh habe dichhhhhh ausgetricksssssst, ssssssondern mein… (unterbricht sich selbst) Aber lassssssen wir dassssss…. (mit verschlagener Stimme) Du willllllst etwasssss von mir….?

BORIS: Ich. Will. Wieder. Zurück. Nach. Hause.

BUCHDÄMON: Zurrrück? Aberrrrrr wurrrrrde deinnnnn Wunschhhhhh nichhhhhht erfüllllllllt? Hat… er nichhhhhhhht Worrrrrt gehaltennnnnn? Du kannnnnnnnst jetzzzzzzt hexennnnnnnnn…

BORIS: Von wegen! Ganz gemein ausgetrickst wurde ich! Und jetzt hilfst du mir, wieder nach Hause zu kommen. In mein (betont) ECHTES Zuhause! 

BUCHDÄMON (säuselt): Aberrrrr dafürrrrr musssssst du mirrrrrr einennnnn Gefallennnn tunnnnn. Schlag dassssss Schlosss kaputtttt… Befreieeee michhhhhh …

BORIS (lacht verächtlich auf): Vergiss es! DU wirst mir helfen, und zwar ohne jede Gegenleistung. Ob du willst oder nicht.

BUCHDÄMON (spöttisch): Unnnnnnd warummmmmm solllllllte ichhhhh dasssss tunnnnn?

BORIS (selbstsicher): Weil ich glaube, dieses alte, trockene Papier ziemlich gut brennt. Mhhh… Was passiert eigentlich mit Buchdämonen, die in brennenden Büchern gefangen sind?

BUCHDÄMON (etwas unsicher): Dasssss… Dasssss würdesssssst du nichhhhhht wagennnnn! Ichhhhh binnnn deine einzzzzzzige Hoffffffffnung aufffff Rückkehrrrrrr.

BORIS (blufft): DAS glaube ich nicht. Es gibt viele Hexbücher auf dieser Welt. Und in irgendeinem werde ich schon den richtigen Hexspruch finden… Du allerdings… Mhhh.. Du dürftest dann schon in winzigkleinen Fetzen durch die Luft fliegen… 

BUCHDÄMON (noch unsicherer): Dasssss wagssssst du nichhhhhht!

BORIS: Wollen wir wetten? Also… Ich habe in den letzten Monaten ganz schön viel gelernt. Nicht nur über das Hexen! Auch darüber, dass Buchdämonen eigentlich ziemlich große Feiglinge sind… Also?

BUCHDÄMON (trotzig): Niemalsssssss!

BORIS: Na dann. ‚Eene meene Ungeheuer, entflamme dieses Buch zu Feuer!‘ Hex…

BUCHDÄMON (ihn schnell unterbrechend): Isssssst ja schon gutttttt, issssssst ja schon gutttttt… Alssssooo bittteee… Wennnnnnn du WIRKLICH zurrrrrück innnnn deinnnne Welt willsssssst. Aberrrrr denkeeeee darannnn: Du wirrrrrrsssst wieder einnnnn stinknormalerrrrr langweiligerrrrrr Jungeeeeee seinnnn… Niemannnnnd wird sich für dichhhhhhh interessierennnnn…

BORIS: Das wollen wir doch mal sehen!

BUCHDÄMON: Du hasssssst esssss sssssso gewollt! (seufzt) Sssssprichhhh mirrrr nachhhhhh: Eene meene Rauch, Krötenbein und Igelbauch…

BORIS: Eene meene Rauch, Krötenbein und Igelbauch…

BUCHDÄMON: Schick diesen Jungen, dieses Kind, in seine Welt zurück, wo Frauen richt’ge Hexen sind…

BORIS:  Schick diesen… Jungen, dieses Kind, in seine Welt zurück, wo Frauen richt’ge Hexen sind…

BUCHDÄMON: Vorbei sei’s mit dann mit seiner Hexerkraft. Hinfort mit seiner Hexermacht!

BORIS: Vorbei sei’s mit dann mit seiner Hexerkraft. Hinfort mit seiner Hexermacht! Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

DANN: EIN KNALL! DONNER! DAS SURREN VON ELEKTRIZITÄT. DER FERNSEHER IM SALON VON BAD BANNBERG BRUTZELT, BRUMMT, RAUSCHT. STÖRGERÄUSCHE. DANN MACHT ES EINMAL LAUT ‚PUFF‘ UND RAUCH STEIGT AUF.

ENDE SZENE 27

SZENE 28: FAMILIE

ERZÄHLER: Oh jemine! Jetzt hat doch tatsächlich der Fernseher seinen Geist aufgegeben. Wie (hustet) das raucht (hustet) und stinkt! Das war wohl (hustet) ein bisschen zuviel Hexerei für seine alten Röhren… (zu BIBI) Bibi… reichst du mir mal (hustet) ein Taschentuch? Sonst falle ich gleich noch in Ohnmacht. Und (hustet) bewusstlos kann ich euch ja gar nicht erzählen, wie die Geschichte ausgeht…

BIBI: Ein Taschentuch? Mhhhh… Ich weiß etwas viel Besseres! (überlegt) Wie war das noch…? Eeene meene maase, zu sei Erzählers Nase.

ERZÄHLER: Bibi, nein! Tu das…

BIBI: Hex! Hex! 

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

ERZÄHLER (mit komplett verschlossener Nase): … nicht. (erbost) Bibi Blocksberg! Hex jetzt (betont) sofort meine Nase wieder auf! (empört) Das ist ja… ungeheuerlich! Bibi! (betont) BIBI!

BORIS: Mit wem redest du denn da?

BIBI: Ach, mit niemandem… Aber erzähl doch mal… Hat der Hexspruch geklappt?

BORIS: Ja, schon… Also… am Anfang dachte ich ja, dass mich dieser komische Buchdämon schon wieder ausgetrickst hat. Hat der mich einfach in irgendso eine gottverlassene Ruine gehext… 

BIBI: Du Dummerchen! (besserwisserisch) Es ist doch totaaaal logisch! Du bist einfach da wieder aufgetaucht, wo du verschwunden bist!

BORIS: Na, du hast gut reden! Das konnte ich doch gar nicht wissen. Das letzte, an das ich mich erinner, war, dass ich im Keller diesen Hexspruch aufgesagt und Mami ganz laut gerufen hat. Und außerdem… Wo ist eigentlich diese Hexenklinik hin? Und warum ist hier alles so kaputt und verlassen? Es sieht ja aus wie bei Hempels unterm Sofa! Als hätte hier seit Jahrzehnten niemand mehr geputzt…

BIBI (ratlos): Mhhh… Das weiß ich auch nicht… Aber jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Was ist dann passiert?

BORIS: Ich habe mir ein paar Decken gesucht und eine Nacht hier geschlafen. Das war ganz schön gruselig, das kannste mir glauben. Ich konnte mir ja kein warmes Bett mehr hexen. Und kein Essen… Du glaubst gar nicht, wie laut mein Magen am nächsten Morgen geknurrt hat.

BIBI (lakonisch): Ein Tag ohne Pommfritz. Das muss die Hölle gewesen sein.

BORIS: Du olle Zimtzicke! Mit deiner Hexenkraft biste mutig. Aber schlaf du mal eine Nacht ohne in so einem Gespensterhaus! Da schlottern auch dir die Knie.

BIBI: Vielleicht… Erzähl weiter.

BORIS: Am nächsten Morgen bin ich dann bis zur nächsten Straße gelaufen. Ich dachte, vielleicht kommt ja jemand vorbei und nimmt mich mit. (seufzt) Drei Stunden hab ich gewartet, dann sind plötzlich zwei Lastwagen um die Kurve gekommen. Kopf an Kopf! Die waren verrückt, sag ich dir! Beinah hätten die mich überfahren, so schnell waren die. Aber ich hatte Glück: Neustadt lag mitten auf ihrer Strecke.

BIBI: Und dann biste mit denen einfach so mit? Mit zwei Fremden?

BORIS: Ach, besser als alleine noch eine Nacht in so einer gruseligen Ruine pennen. Und Franz und Günther waren wirklich in Ordnung…

BIBI: Aber, aber… wenn du dann in Neustadt warst… Warum hast du denn nicht bei uns geklingelt?

BORIS: Hab ich ja! Und Mami hat mir ja auch aufgemacht! Aber…

BIBI: Aber was?

BORIS (schnieft): Sie hat mich nicht erkannt. Genauso wenig wie du! Ich hab oben in der Tür gestanden. Aber Mami dachte, ich wäre ein neues Nachbarskind, das sich im Stock geirrt hat…

BIBI (mitfühlend): Boris…

BORIS (erzählt wie auf Autopilot weiter, schnieft zwischendurch): Und dann bin ich auf unseren Schulhof gerannt und hab gewartet… Auf die große Pause… Und da standst du plötzlich… Mit Marita… Ich bin zu euch hin und hab euch nach der Uhrzeit gefragt… Und ihr habt nichts gemerkt! Keiner konnte sich an mich erinnern! Die Lehrer nicht! Papi nicht! Niemand in Neustadt hatte je etwas von ‚Boris Blocksberg‘ gehört! Nicht einmal der blöde Bürgermeister!

BIBI: DU warst das… Mhhh… Jetzt erinnere ich mich. Stimmt, dein Gesicht…

BORIS: Erst dachte ich ja, der Buchdämon wär doch schuld gewesen. Hat mich in eine Welt gehext, in der es mich nie gegeben hat. Aber dann wurde mir klar, dass es nur eine logische Erklärung gibt. (lauter) Es war Mami! Mami hat euch allen die Erinnerung an mich weggehext! Weil sie glücklicher war mit nur einem richtigen Hexenkind! 

BIBI: Und dann… und dann bist du böse geworden und hast Baldrian geklaut und diese blöden Sachen mit Tina ins Internet geschrieben und … (realisiert, empört) Du bist Schuld daran, dass Papi keine Arbeit mehr hat…

BORIS (schuldbewusst): Das war ein bisschen zu heftig… Ich weiß, ich weiß… Ich hab dann ja auch aufgehört.. ich war… ich war nur so wütend…

BIBI: Aber diese Zettel…

BORIS: Ich hab gehofft, dass zumindest (betont) DU mich nicht ganz vergessen hast. Meine eigene Schwester! Und dass deine Erinnerung irgendwann wiederkommt, wenn ich dir nur genug Hinweise gebe… (resigniert) Aber Mamis Hexspruch war wohl zu stark…

TÜR ZUM SALON WIRD AUFGERISSEN. IN DER TÜR STEHEN BARBARA UND BERNHARD BLOCKSBERG. BARBARA SIEHT BORIS UND BIBI AUF DER BÜHNE SITZEN UND KOMMT SOFORT ANGELAUFEN. BERNHARD FOLGT IHR.

BARBARA (ruft, laut, überrascht, aber vor allem erleichtert): BIBILEIN! MEIN BORIS-BABY!!!!

BARBARA RENNT AUF DIE BÜHNE UND NIMMT BORIS FEST IN IHRE ARME, SO FEST, DASS ER FAST ERSTICKT.

BARBARA (schluchzend): MEIN SCHÄTZCHEN! OH BORIS! BOOOORIIIIS! 

ENDE SZENE 28

SZENE 29: GEDÄCHTNISLÜCKE

ERZÄHLER (noch immer näselnd): Na, das war aber ein Auftritt, das sag ich euch! Wie aus dem Fernsehen! Gerade in dem Moment, als Boris mit seiner Geschichte fertig ist, knallt plötzlich die Tür zum Salon auf – und darin stehen: Barbara und Bernhard Blocksberg! Mit etwas zerzausten Haaren, sicher – und Papa Blocksbergs mit einem Mund, der so weit offensteht, das ein Flugzeug hindurch fliegen könnte… Aber sie sind es… Und jetzt steht Barbara Blocksberg schon auf der Bühne, umarmt ihren ‚verlorenen Sohn‘ so fest, das er fast erstickt und …

BORIS (verblüfft, aber auch etwas angeeklelt): Mamiiii, ihhhhhh, lass das! Das ist total ekelig.

BARBARA (schluchzt vor Freude): Ach, darf eine Mutter ihrem Sohn denn keinen ordentlichen Schmatzer mehr geben? Ich bin ja so froh…

BERNHARD (unterbricht BARBARA): Barbara, bitte sei doch vorsichtig. Dieser Junge ist gefährlich… Er hat Bibi entführt!

BARBARA: DIESER JUNGE ist unser Sohn, Bernhard! Und der ist nicht gefährlich!

BIBI: Ja, und entführt hat er mich auch nicht. Ich bin ganz freiwillig hierhin gekommen.

BERNHARD: Ausgebüxt bist du mal wieder. Aber darüber sprechen wir später noch.

BARBARA (überdeckt BORIS weiter mit feuchten Küssen): Mein Boris-Schätzchen!

BIBI (verwirrt): Also, jetzt versteh ich gar nichts mehr. (zu BARBARA, skeptisch) Mami, hast dich die ganze Zeit an Boris erinnert?

BARBARA: Nein, nicht sofort. Aber als du mich in der Küche nach seinem Namen gefragt hast, hatte ich plötzlich so ein ganz schlimmes Gefühl im Bauch. Ich wusste nur nicht warum.

BIBI: DESWEGEN warst du so komisch zu mir.

BARBARA: Ja, aber gestern nacht hatte ich dann diesen Alptraum… Und dann ist alles zurückgekommen… Die Sache mit dem Buch… Die Hexenklinik… Und dass… (zieht Rotz hoch) dass dein Bruder plötzlich verschwunden ist… (zu BORIS) Mein Baby, es tut mir so leid. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte.

BORIS (jetzt etwas trotzig): Na, weil DU euch allen die Erinnerung weggehext hast!

BARBARA (ist sich sehr sicher): Auf gar keinen Fall! Das hätte ich niemals getan! Egal, was auch Schlimmes passiert… (etwas empört) Ich werde doch nicht meinen eigenen Sohn vergessen wollen!

BORIS (zweifelnd): Aber… Was ist denn dann passiert?

BIBI: Ja, Mami… Wenn du es nicht warst, wer denn dann? 

BARBARA: DAS werden wir jetzt herausfinden. Eene meene manz, Fernseher sei wieder ganz. Hex! Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

BARBARA (bestimmt): So. Und jetzt schauen wir ein letztes Mal in die Vergangenheit. Bibi! Sprich mir nach! Wir sagen den Spruch gemeinsam auf!

BIBI: Boris, du auch!

BARBARA (fragend): Aber was soll denn Boris…?

BIBI (unterbricht BARBARA): Erklär ich dir später Mami. Komm, Bruderherz!

BORIS (zögernd): Aber ich bin doch gar kein Hexer mehr…

BIBI: Papperlapapp. Aber du warst einer! Und für diesen Spruch brauchen wir alle Kräfte, die wir kriegen können. Also los! Mami?

BARBARA: Gut, Bibi. Boris. Sprecht mir nach! ‚Eene meene oblivia, Krötenbein und Spinnenhaar…‘

BORIS und BIBI (gemeinsam): ‚Eene meene oblivia, Krötenbein und Spinnenhaar…‘

BARBARA: ‚Zeig uns, was damals echt geschah…‘

BIBI und BORIS (gemeinsam): ‚Zeig uns, was damals echt geschah…‘

BARBARA: ‚Als Boris wie von Geisterhand. Aus unserer Erinnerung verschwand.‘

BIBI und BORIS (gemeinsam): ‚Als Boris wie von Geisterhand. Aus unserer Erinnerung verschwand.“

BIBI, BARBARA und BORIS (gemeinsam): HEX! HEX!

DREIFACHES PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

 TYPISCHES HARFEN-RÜCKBLENDEN-GERÄUSCH.

ENDE SZENE 29

SZENE 30: VERGISSMEINNICHT

BERNHARD: Also, ich sehe gar nichts. Der Fernseher flimmert. (schnaubt) Schöne Hexerei!

BIBI: Doch Papi, schau nur! Da ist eine Gestalt! Ganz undeutlich ist sie noch!

BORIS: Ja, ich sehe es auch… Ein Mann… Aber ich kann noch nicht erkennen, wer…

BARBARA (ruft aufgeregt): Bernhard! Sieh doch nur! Sieh genau hin… Das bist ja…

BERNHARD (perplex): Das… das bin ja ich! Aber… aber was mache ich denn da? 

BARBARA: Du stehst vor einer Tür… Komisch, irgendwo hab ich die schon gesehen… Warte, da oben steht etwas… Ein Name…

BORIS: Ja, ein Name… (versucht zu entziffern, lesend) Bri…. Brink…

BIBI (aufgeregt): Brinkmannstein!

BARBARA: Das ist das Büro von Dr. Spellmann von Brinkmannstein!

BIBI: Die Hexenärztin aus der Klinik!?

BARBARA: Ja! Aber… Aber Bernhard, was zum Dreiteufelsnamen machst du denn da…?

BERNHARD (stammelt): Ich… ich… Ich weiß es wirklich nicht.

BIBI (zu BARBARA und BERNHARD): Psssssssst! Seid doch mal leise! Man versteht ja gar nichts!

IM FERNSEHER: BÜROTÜR ÖFFNET SICH KNARREND. EINE FRAU SCHAUT RAUS.

OBERHEXENÄRZTIN (indigniert): SIE? Wie können Sie es wagen, noch einen Fuß in dieses Haus zu setzen! (Pause, dann resigniert) Herr Blocksberg… Was wollen Sie denn (betont) JETZT noch? Sie haben doch alles erreicht, was sie wollten! Dank der Klage Ihrer Frau müssen wir hier dichtmachen! Unser Ruf als Austreibungsexperten ist für immer ruiniert! 

BERNHARD: Bitte. Einen Moment nur. Lassen Sie mich bitte eintreten.

OBERHEXENÄRZTIN (resigniert): Na gut. Es ist ja sowieso alles egal. Hier. Nehmen Sie Platz.

BERNHARD (ruhig, bescheiden): Danke.

BERNHARD SETZT SICH MIT EINEM SEUFZER IN DEN BÜROSTUHL.

OBERHEXENÄRZTIN (ungeduldig): Und? Ich habe nicht ewig Zeit. Nicht mehr lange und unser Hexspruch über dieses Gebäude verliert seine Macht. Dann sieht wieder alles so aus wie damals, als wir die Klinik übernommen haben.

BERNHARD: Gut, ähhhh… Dann… Dann komme ich mal zum Punkt. Also…

OBERHEXENÄRZTIN (schmallippig): Also? Herr Blocksberg! Was. Wollen. Sie.

BERNHARD (zögerlich): Ich… Ich will, dass sie uns helfen, Boris zu vergessen.

OBERHEXENÄRZTIN (erstaunt): Wie bitte?

BERNHARD: Mit… mit einem dieser Hexenzauber. Hokuspokus vergessibus… So was…

OBERHEXENÄRZTIN: Hokus… Pokus… Vergessi… Also, ich glaube wirklich nicht, dass Sie viel von Hexerei verstehen, Herr Blocksberg.

BERNHARD (mürrisch): Dann eben Hexhex oder so! Ist mir auch egal! Es… (stammelt) es ist nur so… Meine Frau ist todunglücklich, seitdem unser Sohn verschwunden ist… Sie… Sie will nicht einmal mehr ihre ekeligen Hexenrezepte kochen! Und meine Tochter macht sich schlimme Vorwürfe, dass sie unseren Sohn in eine Banane verhext hat und er deswegen… und er deswegen… (Stimme bricht ab) 

OBERHEXENÄRZTIN (mitfühlend): Herr Blocksberg…

BERNHARD (verzweifelt): Ich… ich will doch nur, dass alles wieder so ist wie vorher. Und dass meine Barbara nicht mehr so leidet…

OBERHEXENÄRZTIN (mitfühlend): Herr Blocksberg… ein Vergessenszauber ist natürlich möglich… Aber es wäre schon eine sehr radikale…

BERNHARD: Aber möglich ist es? (aufgeregt) Und wenn unser Sohn dann doch irgendwann zurückkommen sollte, dann könnten den Hexspruch ja wieder von uns nehmen…? 

OBERHEXENÄRZTIN (zögernd): (betont) FALLS Ihr Sohn in diese Welt zurückkommt. Aber ja, auch das wäre möglich. Als ihr Sohn verschwunden ist, habe ich ich sofort einen Alarmierungszauber gesprochen, der mich im Falle eines Wiedereintritts in unsere Welt benachrichtigt.

BERNHARD: Dann… dann kann ja nichts passieren. Wenn unser Boris zurückkommt, werden Sie es merken und uns die Erinnerung zurückhexen. Und wir müssen in der Zwischenzeit nicht unnötig leiden.

OBERHEXENÄRZTIN (zögernd): So einfach ist es nicht, Herr Blocksberg. Was ist denn, wenn Ihre Nachbarn Sie auf Boris ansprechen? Oder Boris‘ Großeltern? Und was ist mit seinen Freunden? Seinen Lehrern? Mit einem einfachen Vergessenszauber ist es nicht getan. Wir… Wir müssten Boris aus dem Gedächtnis der ganzen Welt hexen!

BERNHARD: Dann tun Sie das, himmelherrgottnochmal! Dann werden wir ENDLICH wieder eine glückliche Fanilie sein. Vielleicht… vielleicht nicht ganz normal… Aber glücklich!

OBERHEXENÄRZTIN: Es… es gäbe da vielleicht eine Möglichkeit… 

DIE OBERHEXENÄRZTIN RENNT ZU EINER UMZUGSKISTE, WÜHLT DARIN.

OBERHEXENÄRZTIN (zu sich murmelnd): Wo habe ich es denn? (wühlt weiter) Wo ist es denn… Hier!

BERNHARD (aufgeregt): Was? Was haben Sie?

OBERHEXENÄRZTIN: Ein Buch aus grauer Hexenvorzeit… Als… (etwas peinlich berührt) als wir Hexen den Mug… ähhh… Nichthexmächtigen… noch nicht so… wohlgesonnen waren.

OBERHEXENÄRZTIN BLÄTTERT IM BUCH.

OBERHEXENÄRZTIN: Hier! Hier ist es! (liest) ‚Mombis großer, allumfassende Vergessenszauber…’ (blättert) Jaaaa… Also wir brauchen… Krötenleber… Mhhh-mhhh… Einhornegel… Ahhhh, das könnte schwierig werden…

BERNHARD: Nun spannen Sie mich doch nicht so auf die Folter! Können Sie es nun oder nicht?

OBERHEXENÄRZTIN: Ich… ich kann es versuchen. Allerdings bräuchte ich etwas Persönliches von Ihrem Sohn, damit der Zauber wirkt.

BERNHARD: Ich habe habe Foto von Boris im Portemonnaie… Von kurz nach seiner Geburt… (holt es heraus) Ach, er war schon damals ein richtiger Wonneproppen…

OBERHEXENÄRZTIN: Wie charmant. Nun ja… das reicht. Geben Sie mal her…

OBERHEXENÄRZTIN KRAMT UND WÜHLT IN DEN UMZUGSKISTEN NACH DEN ENTSPRECHENDEN ZUTATEN UND KOMMENTIERT IHRE JEWEILIGEN FUNDE LAUT.

OBERHEXENÄRZTIN: Einhornegel! (wühlt) Wo ist denn nur die Krötenleber? (wühlt) Ach ja, hier! Direkt unter der Staffelbox von „Verliebt in eine Hexe!“ (zu sich murmeld, schmachtend) Ach Darrin… was für ein Mann!

BERNHARD RÄUSPERT SICH.

OBERHEXENÄRZTIN: Ähem. Also… Jetzt haben wir alles. (Pause) Aber sind Sie sich auch ganz sicher?

BERNHARD: So sicher wie das Amen in der Kirche. 

OBERHEXENÄRZTIN: Na gut. Dann schließen Sie jetzt bitte die Augen… (zu sich) Du kannst es, Salema, du kannst es! (Pause, atmet tief ein und aus) ‚Eene meene menetekel, Krötenleber und Einhornegel. Aus dieser Welt radiere aus, mach der Erinnerungs den Garaus, sodass kein Mensch auf dieser Erde, Boris Blocksberg kennen werde!‘ (Pause) Ach, fast hätte ich’s vergessen… ‚Und diesen Mann, den schick zurück, auf schnellstem Weg ins wohlige Heimatglück‘ Hex! Hex!

DUMPFES PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

GEFOLGT VON EINEM LAUTEN DONNER. EIN LICHTBLITZ. BERNHARD BLOCKSBERG VERSCHWINDET. DIE OBERHEXENÄRZTIN SCHREIT LAUT UND SCHMERZERFÜLLT AUF. DANN IST ES EINEN MOMENT STILL. DIE TÜR ZUM BÜRO WIRD AUFGERISSEN. EINE ÄRZTEKOLLEGIN STÜRMT INS ZIMMER.

KOLLEGIN: Beim Beelzebub! Salema! Was ist denn hier los? (schaut auf das Buch auf dem Boden) ‚Mombis großer, allumfassende Vergessenszauber…‘ – Oh nein! Salema! Du hast doch nicht etwa…?

OBERHEXENÄRZTIN (verwirrt): Was soll ich gemacht haben? Wo bin ich überhaupt? Und… und wer ist Salema?

ENDE SZENE 30

SZENE 31: AUF, AUF UND DAVON!

ERZÄHLER: Na, da ist aber gehörig etwas schief gegangen mit dem Hexspruch. Und jetzt kennt die Oberärztin der Hexenklinik – die, die immer so schlau und wichtig getan hat – nicht einmal mehr ihren eigenen Namen! Also – ein bisschen leid tut sie mir ja schon. Auch wenn sie manchmal ganz schön zickig war. Aber noch mehr tut es mir natürlich um Boris leid. Was der arme Junge alles durchmachen musste! Denn eigentlich hätte es die Ärztin ja spüren müssen, sobald Bibis Bruder wieder zurück in der richtigen Welt ist. Die Welt, in der nur die Frauen und Mädchen hexen können. Und dann hätte sie mit einem Fingerschnips allen die Erinnerung zurückgehext. Aber… Wie soll jemand die Erinnerung zurückhexen, der sich selbst an gar nichts erinnert? Da hat Vater Blocksberg seiner Familie ja ein ganz schönes Ei gelegt…

BERNHARD (stammelt): Ich… Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Barbara… Bibi… Boris… Ich wollte doch nur…

BARBARA (liebevoll): Ach Bernhard! Da kannst du doch nichts dafür. Du wolltest doch nur, dass es deiner Familie gut geht. Dass es… uns wieder gut geht. (gibt BERNHARD einen Kuss) Selbst wenn du dafür über deinen eigenen Schatten springen musstest. Ich glaube es immer noch nicht: MEIN Bernhard hat eine Hexe um Rat gebeten! Ausgerechnet!

BERNHARD (noch nicht überzeugt): Ja, aber… Dann ist offenbar alles komplett schief gelaufen. Und ich habe alles nur noch schlimmer gemacht… Hexerei ist eben doch…

BARBARA (führt den Satz fort): … keine Wissenschaft. Vor allem dann nicht, wenn man so einen komplizierten Hexspruch aufsagt. Und dann auch noch vertrocknete statt frische Krötenleber benutzt!

BORIS (leise): Und ich hab gedacht, ihr hättet mich nicht mehr lieb…

BARBARA (liebevoll, etwas pathetisch): Aber natürlich hab ich dich lieb! So lieb, dass selbst der stärkste Zauber mir die Erinnerung nicht ganz weghexen konnte. Gegen die Liebe einer Mutter sind eben auch Hexen machtlos.

BIBI: Das ist jetzt aber ganz schön kitschig, Mami.

BARBARA: Das ist nicht kitschig, mein vorlautes Töchterlein. Das ist wahr. Punkt. Aber jetzt lasst uns schnell von hier verschwinden. Ich will diese dumme Klinik nie wieder sehen!

BORIS (vorsichtig optimistisch fragend): Aber wohin…?

BARBARA: Nach Hause natürlich, mein Schatz! Und da suche ich uns dann den richtigen Hexspruch heraus und sorge dafür, dass sich die ganze Welt wieder an Boris Blocksberg erinnert!

BORIS: Au ja, Mami! Dann hat dieser Alptraum hier endlich ein Ende!

BERNHARD: Aber von hier fährt doch gar kein Bus ab…

BARBARA: Bus? Wir fliegen natürlich! Bernhard, wir beide teilen uns Baldrian. Bibi, du nimmst Kartoffelbrei. Und Boris… hier!

BARBARA GIBT BORIS LEBERTRAN.

BORIS: Was ist denn…?

BARBARA (unterbricht BORIS): Das ist Lebertran, ein „Feuerblitz“. Angeblich ‚der neuste Schrei‘ unter den Flugbesen. Also, für mich ja ein wenig zu neu. Und deswegen gehört Lebertran jetzt dir… Oder wie du ihn auch immer nennen willst.

BORIS: Aber…

BARBARA: Aber du kannst nicht mehr hexen? Das wolltest du doch sagen, oder? Da hast du natürlich recht. Und daran wird sich auch nichts ändern. (bestimmt) Männer können nicht hexen. Zumindest nicht in unserer Welt. Aber was sie sehr wohl können, ist auf einem verhexten Besen zu fliegen. Und du weißt doch jetzt, wie man einen Besen steuert. Und nur darauf kommt es an. Also los! (beschwörerisch) ‚Eene meene Lebertran, in die Lüfte erhebe dich sodann. Dein neuer Herr jetzt Boris sei, seinem Kommando folge auch ohne Hexerei!‘ Hex Hex!

PLING-PLING-HEXGERÄUSCH.

LEBERTRAN SURRT, STEIGT MIT BORIS IN DIE LUFT.

BORIS (noch etwas erstaunt): Ich fliege! (jetzt ausgelassen) ICH FLIEGE WIEDER!!! Juhuuuuuuuuuuuu!! (braust davon)

MEHRERE BESEN STARTEN SURREND UND FOLGEN BORIS BLOCKSBERG – NACH HAUSE.

ERZÄHLER: Und? Was meint ihr? Ist das nicht ein schöner Anblick? Familie Blocksberg zum allerersten Mal gemeinsam in der Luft. Ganz vorne Boris. Dicht dahinter Bibi, die sich mit ihrem Bruder ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert. Und dahinter Bernhard und Barbara Blocksberg, die endlich wieder strahlt wie ein Honigkuchenpferd. (Pause, unsicher) Aber wie komme ich jetzt eigentlich…? Oh nein! (ruft hinterher) Bibiiiiii! Baaarbaraaaa! Beeeernhaaaard! Boooooriiiiis! So wartet doch! Waaaaaartet! Nehmt mich mit! Ihr könnt mich doch nicht hier alleine lassen! Ihr braucht mich doch! Wer soll denn sonst von euren spannenden Abenteuern berichten? (etwas verzweifelt) Bibiiiiiiiiiiii…! 

INSTRUMENTALMUSIK.

ENDE SZENE 31

SZENE 32: DAS ENDE

ERZÄHLER: Tja, das war’s, ihr Lieben. Das war die Geschichte von Boris, dem Bruder, an den sich niemand mehr erinnert hat und der urplötzlich wieder aufgetaucht ist. Ein bisschen gruselig war es ja schon. So mit Dämonen und geheimnisvollen Botschaften und verfallenen Häusern und allem. Sogar ein bisschen traurig war es zwischendurch. Aber so ist das nun einmal im Leben – selbst bei einer so lieben Familie wie den Blocksbergs. Und am Ende ist ja alles gut ausgegangen. Jetzt sind sie also wieder zu viert im Hause Blocksberg. So wie es sich gehört. Mutter Barbara, Vater Bernhard, Tochter Bibi – und Boris, Bibis kleiner Bruder, der eigentlich gar nicht mehr so klein ist.

BORIS (vorlaut): Genau! Richtig groß bin ich schon!

BIBI (spöttisch): Groß ist an dir nur dein Hunger! Mir gehste höchstens bis zur Nasenspitze, du Lilliputaner, du!

BORIS (nölend): Mamiiiii, Papiiiii, Bibi ist schon wieder schweinsgemein zu mir!

BERNHARD und BARBARA (gemeinsam tadelnd rufend): Bibiiiii!

BIBI: Ach männo!

ERZÄHLER (seufzt): Ja, jetzt ist wirklich wieder alles ganz normal bei Blocksbergs…

ABSPANNMUSIK – EXTENDED TITELMUSIK VON 1988.

– ENDE 😊 – 

Boris Blocksberg - Hexer gibt es doch!

Kommentare der alten „Boris rächt sich“-Seite auf Readymag:

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